Ein Podcast über fünf Frauen in Pacific Palisades

Weibliches Exil

Mit Podcast ist das ja so eine Sache (Wobei ich zugeben muss, dass ich einige sehr schätze, und zwar nicht nur den der UZ). Oft reden die Podcast-Macherinnen und -Macher lieber über sich als über das eigentliche Thema, es wird ständig ganz viel nachgefühlt, was eine Information nun so mit einem macht, und dann ist da noch die allgegenwärtige Propaganda. Jede Gräueltat der Geschichte soll auf einmal einen Vergleich mit Putin wert sein, der bürgerliche Feminismus wird so bürgerlich, dass er fast schon frauenfeindlich daherkommt, und spätestens wenn die Worte „Deutsche Demokratische Republik“ fallen, fallen alle Hemmungen gleich mit. Aber es gibt (auch außerhalb der linken Bubble) rühmliche Ausnahmen. Von den blödesten Beispielen und den schönsten Ausnahmen erzählen wir in den nächsten Wochen in lockerer Reihenfolge an dieser Stelle. Damit es am Badesee auch mal schön was auf die Ohren gibt und man den Mitschwimmern und Sonnenbadenden um einen rum nicht so genau zuhören muss.

Steven Spielberg, Ben Affleck, Rihanna – sie alle wohnen in dem Stadtteil von Los Angeles, der heute nur den Reichsten vorbehalten ist: Pacific Palisades. Berühmt ist dieser Stadtteil aber vor allem wegen seiner ehemaligen prominenten Bewohner. Denn hier wohnten – geflohen vor dem deutschen Faschismus – Künstler wie Bert Brecht, Theodor Adorno, Heinrich Mann, Walter Mehring, Alfred Döblin, Ludwig Marcuse, Lion Feuchtwanger, Thomas Mann und Franz Werfel. Hier stritten sie über Politik und darüber, wie man den Faschismus besiegen könnte, knüpften nahtlos an ihre literarischen Erfolge an oder nagten am Hungertuch und kämpften ums nackte Überleben, weil ihre Kunst in der „neuen Welt“ nicht zu verkaufen war. Bis heute umgibt Pacific Palisades die Aura der emigrantischen Künstlerkolnonie, Künstler, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, können sich für einen Stipendiatsaufenthalt in der Villa Aurora, in der einst Lion und Marta Feuchtwanger lebten, bewerben.
In seiner Podcast-Reihe „Exit Exil. Fünf Frauenleben in L.A.“ geht Étienne Roeder der Geschichte von Frauen nach, die ebenfalls zur Emigrantengemeinde in Pacific Palisades gehörten. Einige wird man nicht aus diesem Zusammenhang kennen, andere gar nicht.

Marta Feuchtwanger, Marlene Dietrich, Eva Hermann, Fritzi Massary und Nelly Mann haben eins gemeinsam: sie alle wurden in der Zeit des deutschen Faschismus irgendwann nach Kalifornien gespült.
Marlene Dietrich war da bereits ein internationaler Star, hatte 1930 ihren ersten Hollywoodfilm gedreht und lehnte 1936 ein Angebot Goebbels‘ ab, wieder in Berlin zu drehen, sie verachtete die Nazis und engagierte sich in der Truppenbetreuung der Alliierten. Ihren Spuren folgt Roeder gemeinsam mit der Aurora-Stipendiatin Uisenma Borchu. Die Filmemacherin ergänzt die Geschichte Dietrichs mit ihrer eigenen Sicht auf Filme, aber auch mit ihren Erfahrungen mit Rassismus in Deutschland.
Marta Feuchtwangers Leben betrachtet Roeder gemeinsam mit der Autorin Tanja Kinkel, auch sie eine ehemalige Stipendiatin der Villa Aurora. Marta war nicht Muse, sondern Mitarbeiterin, betont Kinkel – fast ist dieser erste Teil auch der interessanteste der Podcast-Reihe, denn in ausführlichen Aufnahmen aus den 1980er Jahren kommt Marta Feuchtwanger, da fast 90-jährig, selbst zu Wort, um von der Zeit in Pacific Palisades zu erzählen.

Mit der Karikaturistin und späteren Geisterseherin Eva Hermann beschäftigt sich Roeder gemeinsam mit der Comic-Künstlerin Anna Haifisch und mit der Elektro-Komponistin Fa­rahnaz Hatam besucht er eine Operette, um der Sängerin Fritzi Massary nahe zu kommen, die vor ihrer Flucht aus Deutschland das Gesicht des Berliner Metropol-Theaters war.

Ohne die Unterstützung einer Aurora-Stipendiatin reist Roeder in der letzten Folge nach L.A., um sich auf die Spuren von Nelly Mann zu begeben. Es ist eine Geschichte mit zwei Facetten. Die eine zeigt die starke Nelly, ohne die es der 27 Jahre ältere Heinrich bei der Besetzung Frankreichs niemals über die Berge nach Spanien geschafft hätte, von wo aus sie eines der letzten Fluchtschiffe in Lissabon erreichen konnten. Die andere zeugt von bitterer Armut im Exil, in der Nelly immer wieder mit Putzjobs das Geld verdienen musste, von psychischen Zusammenbrüchen, Alkoholismus und schließlich vom Selbstmord Nelly Manns 1944.

Étienne Roeder hat einen Podcast gemacht, der ein bisschen hinter die Kulissen von Pacific Palisades schaut und vor allem die Frauen unter den Exilanten in den Mittelpunkt rückt. Schön wäre es gewesen, wenn er den weniger Bekannten unter ihnen mehr Raum gegeben hätte.

Wer mehr über das Exilantenleben in Pacific Palisades lesen möchte, dem sei Klaus Modicks „Sunset“ ans Herz gelegt: 1956 lebt Lion Feuchtwanger weltberühmt, aber krank und von McCarthy und seinen Schergen argwöhnisch belauert, immer noch in Pacific Palisades. Als er die Nachricht vom Tode Brechts bekommt, erinnert er sich an eine lange Freundschaft, von München bis ins kalifornische Exil.

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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Weibliches Exil", UZ vom 14. Juli 2023



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