Michael Hametner: Bernhard Heisig und Gudrun Brüne

Weltkrieg war das Thema – Sozialismus der Wunsch

Von Rüdiger Bernhardt

Michael Hametner: Bernhard Heisig und Gudrun Brüne. Ein Künstlerpaar über 50 Jahre. Halle (Saale): mdv Mitteldeutscher Verlag GmbH 2018, 272 S., 25,- Euro

Ein Kunstkenner schreibt über Maler: Michael Hametner über Bernhard Heisig (1925-2011) und Gudrun Brüne (geb. 1941). Heisigs Stoffkreis Pariser Kommune (1964-1980), dessen erste Fassung so kritisiert wurde, dass er sie 1965 vernichtete, fällt ebenso ein wie Ikarus (1975), von dem eine Fassung im Palast der Republik (DDR) hing. Wer Gu­drun Brünes Schaffen kennt, weiß von ihrem umstrittenen Bild „Junger Arbeiter“ (1975) oder „Selbst mit Vorbildern“ (1982, mit Rosa Luxemburg und Paula Modersohn-Becker). Entstanden ist aus Gesprächen, Interviews und Erinnerungen der Freunde ein Buch, das den Kunstkenner ebenso fasziniert wie den Zufallsleser. Bei Heisig und Brüne wurde die Zweisamkeit eine wesentliche Voraussetzung für das Buch, das auch Querverbindungen zur Literatur nutzt, Heiner Müller ist präsent, Christa Wolf oder Peter Gosse; Christoph Hein wurde zu einem scharfsinnigen und geschichtsbewussten Interviewpartner. Und:  Hametner scheut keine heißen Eisen.

Das sind in diesem Fall die Leben und das Schaffen Bernhard Heisigs und seiner Frau Gudrun Brüne. Gespräche mit der Malerin Brüne wurden zur Grundlage, auf der sich anderes Material und zahlreiche Bilder sammelten. Hametner stellt Kunstwerke nicht mit wissenschaftlich-handwerklichen Details überlastet vor, sondern erzählt fast unterhaltsam über ästhetische und kulturpolitische, aber auch existentielle und gesellschaftsrelevante Widersprüche. Er erzählt die Geschichte von Heisig und Brüne: „Den hol ich mir!“, so die erste überlieferte Bemerkung; er erzählt von widersprüchlichen Lebensläufen. Er weiß um Traditionen wie die Wirkung Paula Modersohn-Beckers auf Gudrun Brüne. Seine Methode des Erzählens erinnert an ein Bild Gudrun Brünes „Wir gegenseitig“ (2016): Beide Künstler sind fast fotografisch genau zu sehen, einander zugewendet und doch nicht nur auf den Partner konzentriert, dahinter sind beide in expressiv wiederzufinden, gezeichnet von den Schmerzen und Leiden des Lebens sind sie Kunst geworden.

Hametner stellt fest: Bernhard Heisig, einem der bedeutendsten deutschen Maler des 20. Jahrhunderts, ist die seinem Range „entsprechende Anerkennung … bis heute nicht zuteil geworden, denn er kam aus der DDR“. Das trifft Grundsätzliches und methodisch Vielschichtiges, es öffnet den Blick auf die, die verdrängt und totgesagt wurden, aber nicht vergessen wurden. Was hier für einen Namen und für ein Lebenswerk mitgeteilt wird, trifft den Umgang mit einer gesamten Gesellschaft. Schon zu DDR-Zeiten war es das Anliegen westdeutscher Literatur- und Kunstgeschichten, die bedeutenden Leistungen der DDR zu diskreditieren und völlig zu unterschlagen, wenn sie sich dem Sozialismus verbunden sahen. Ging das nicht, weil Künstler und Werk zu wirkungsvoll waren, wurden Verdächtigungen und Gerüchte in die Welt gesetzt, zweit- und drittrangige „Genies“ in den Vordergrund geschoben, wenn sie nur genügend oppositionelle Plattheiten einbrachten. Das Buch bringt dafür Beispiele.

Die Grundlage aller Handlungen Heisigs und seines widersprüchlichen Lebens war der konsequente Kampf gegen Krieg und Zerstörung; daraus entstand auch Einsatz für die gestaltende Kraft der sozialistischen Kunst. Kunst bekam in Heisigs DDR-Gesellschaft eine neue Funktion als integrierter Teil des Lebens und seiner Widerspiegelung. Dadurch waren Kunst und Literatur anderen Bewertungen als in der bürgerlichen Gesellschaft ausgesetzt, die nicht immer freundlich für die Künstler ausfielen, wenn sie Erwartungshaltungen der Politik nicht bedienen wollten oder konnten. Das war kein unlösbarer Widerspruch zwischen Kunst und Politik, sondern ein bisher unbekannter Spannungszustand; das setzte die Kunst anderen Ansprüchen aus, manchmal einem Wunschdenken. Das führte zu schmerzlichen und auch ungerechten Urteilen. Kritik wechselte sich mit hohen Anerkennungen und Beförderungen ab. Heisig sah sich solchen Vorgängen ausgesetzt, ohne je am Sinn seiner Gesellschaft zu zweifeln. Gudrun Brüne, jünger, löste Konflikte ihrer Generation durch Engagement und Willen: Ihr Drang auf die Kunsthochschule wurde nicht gebremst, als sie wegen durchschnittlicher Leistungen kein Abitur machen konnte; sie holte es, wie andere auch, auf der Volkshochschule nach (und überführt so „Opfer“, die in der DDR angeblich kein Abitur machen konnten, der Lüge).

Der Autor stellt beide mit Stärken und Schwächen vor, mit einem menschlich verständlichen Erhaltungstrieb, mit einem nicht immer einsehbaren Karrierestreben, mit Kompromissbereitschaft, aber auch das ist verständlich.

Das Jahr 1998 machte deutlich, was manche Bürgerrechtler der DDR von Kunst halten, vor allem einer gestaltenden Kunst: nichts. Sie verunglimpfen sie, wie am Beispiel Heisigs deutlich wird. Seine Bilder wurden Gegenstand des deutsch-deutschen Bilderstreites. Ausgelöst hatten ihn DDR-Flüchtlinge, die nun, wie Georg Baselitz, in dem Hametner den Hauptschuldigen für diesen Kampf sieht, verkündeten, es habe in der DDR gar keine Künstler gegeben. Hametner geht aufmerksam dem Verlauf – den Auslösern und ihren willfährigen Nachfolgern – nach und schreckt auch nicht davor zurück, Heisigs Verhalten nach 1990 als „inneres Exil“ zu bezeichnen und das, was eigentlich „Aufarbeitung“ sein sollte, als „Abrechnung“ zu bezeichnen, um unliebsame Konkurrenten auf dem Markt zu beseitigen.

Manches ist ergänzungs-, auch korrekturbedürftig: Brechts „Mutter Courage“ war 1949 nicht nur umstritten, sondern einer der größten Erfolge des Berliner Ensembles. 1966 war der Bitterfelder Weg nicht „zum Stehen gekommen“, sondern führte in eine erfolgreiche Richtung, die allerdings, wie so vieles, was neu war, anders verlief als ursprünglich angenommen, aber dennoch auf eine stolze Weise erfolgreich war. Gudrun Brünes solide Werkverträge gehörten dazu. Heisigs „Ikarus“ steht in einer Abfolge mythischer Gestalten in Literatur und Kunst der DDR von Odysseus bis Sisyphus; an der Abfolge sind Aufstieg und Problemhäufung in der DDR frühzeitig deutlich abzulesen. Einmal mehr wird die Ausbürgerung Biermanns – es findet sich einmal mehr die unrichtige Angabe, er hätte keine öffentlichen Auftritte in der DDR gehabt; sogar vor internationalem Publikum fanden sie statt – als Beginn vom Ende der DDR  bezeichnet; das ist wohl nicht so, denn so wichtig war Biermann nicht.

Wenn Heisig seine Auszeichnungen samt Dotierung zurückgegeben hat, war das kein Opportunismus, sondern die Konsequenz auf eine versagende Partei, die sehr viel mehr mit sich selbst zu tun hatte als mit der Entwicklung ihres Landes und einem alle Kräfte fordernden Gesellschaftsentwurf. Gudrun Brüne ließ keinen Zweifel daran, „dass ihr Mann entschieden an den Sozialismus als besseren Weg für die Menschheit glaubte“.

2019 ist der Jahrestag der sogenannten „friedlichen Revolution“. Dazu liegen bereits Beispiele über die Zerstörung kultureller und geistiger Werte vor. Es könnte eine Bibliothek des Verdrängens, der Abrechnungen und der Gedemütigten entstehen. Joachim Jahns „Die Kirschs oder Die Sicht der Dinge“ gehört dazu, auch Petra Köppings „Integriert doch erst mal uns“ und andere. Auch Hametners Buch kann man in diese Reihe stellen.

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Über den Autor

Rüdiger Bernhardt (Jahrgang 1940). Nach dem Studium der Germanistik, Kunstgeschichte, Skandinavistik und Theaterwissenschaft (Prof. Dr. sc. phil.) tätig an Universitäten des In- und Auslandes und in Kulturbereichen, so als Vorsitzender der ZAG schreibender Arbeiter in der DDR, als Vorsitzender der Gerhart-Hauptmann-Stiftung (1994-2008) und in Vorständen literarischer Gesellschaften. Verfasser von mehr als 100 Büchern, Mitglied der Leibniz-Sozietät, Vogtländischer Literaturpreis 2018.

Er schreibt für die UZ und die Marxistischen Blätter Literaturkritiken, Essays und Feuilletons zur Literatur.

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"Weltkrieg war das Thema – Sozialismus der Wunsch", UZ vom 9. November 2018



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