Zentraler Konflikt zwischen Kapital und Arbeit

Wem gehört unsere Zeit?

Von Ulf Immelt

Arbeitszeitverkürzung war immer eine zentrale Forderung der Arbeiterbewegung und daher auch ein zentraler Konfliktpunkt zwischen Kapital und Arbeit. Beispielhaft hierfür stehen der Kampf um den Acht-Stunden-Tag, die Forderung „Samstags gehört Vati mir“ oder die Streiks für die 35-Stunden-Woche. Auf den ersten Blick scheint der Kampf der Arbeiterbewegung um Arbeitszeitverkürzung eine Erfolgsgeschichte zu sein. Die Fünf-Tage-Woche ist inzwischen die Regel, in einigen Branchen ist die 35-Stunden-Woche umgesetzt. Leider ist es der Kapitalseite jedoch gelungen, durch verschiedenste Maßnahmen diese Erfolge zu unterhöhlen. Mit der Einführung der Rente mit 67 wurde durch die Erhöhung der Lebensarbeitszeit die in jahrelangen Kämpfen erstreikte Verkürzung der Wochenarbeitszeit konterkariert. Aber auch die Wochenarbeitszeit ist massiven Angriffen der Unternehmerverbände ausgesetzt. Durch eine extrem hohe Zahl an Überstunden steht die 35-Stunden-Woche, wo sie erkämpft worden ist, für viele Kolleginnen und Kollegen nur noch auf dem Papier.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung beziffert die Zahl der Überstunden in Deutschland im Jahr 2018 auf 1,7 Milliarden. Von diesen waren 941 Millionen unbezahlt. Hinzu kommt, dass die 35-Stunden-Woche in vielen Branchen und Betrieben nicht zur Anwendung kommt. Dies gilt für Ostdeutschland, aber auch für viele nicht tarifgebundene Betriebe in der alten BRD.

Doch auch in tarifgebundenen Betrieben sind für viele Kolleginnen und Kollegen in den outgesourcten Bereichen deutlich längere Arbeitszeiten die Regel. Das gilt auch für Leiharbeiter oder Kollegen mit Werksvertrag. Der freie Samstag ist nur noch für etwas mehr als die Hälfte der Beschäftigten Realität.

Insgesamt nimmt der Trend zu atypische Arbeitszeiten zu, ob samstags, sonntags oder nachts. Darüber hinaus erleben immer mehr Lohnabhängige eine Verdichtung ihrer Arbeit. Immer mehr soll in immer kürzerer Zeit erledigt werden. Eine Entgrenzung von Arbeitszeit und Freizeit ist längst kein Phänomen der New Economy mehr, sondern wird von Beschäftigten in den verschiedensten Branchen und Berufen erlebt. Das Smartphone stets im Blick ist zum Synonym für ständige Erreichbarkeit geworden.

Im Vordergrund dieser neuen Arbeitswelt stehen nicht die Bedürfnisse oder die Gesundheit der Lohnabhängigen, sondern deren flexibler Einsatz, je nach Arbeitsanfall, saisonalen oder konjunkturellen Schwankungen und letztlich zur Erhöhung der Profitraten der Kapitaleigner. Vor diesem Hintergrund muss der Kampf um Arbeitszeitverkürzung ein zentraler Punkt gewerkschaftlicher Kämpfe bleiben beziehungsweise wieder verstärkt werden.

Die 30-Stunden-Woche kann hier ein guter Orientierungspunkt für zukünftige Kämpfe sein. Allerdings muss es um mehr als die reine Arbeitsstundenzahl pro Woche gehen. Arbeitsintensität und Zeitsouveränität im Interesse der Beschäftigten sowie eine klare Trennung von Freizeit und Arbeitszeit müssen ebenso in den Fokus der Auseinandersetzungen gerückt werden wie die Lebensarbeitszeit. Mit der Rente mit 67 darf man keinen Frieden machen.

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"Wem gehört unsere Zeit?", UZ vom 7. Juni 2019



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