Virus erzwingt Produktionsstopp bei Renault – Arme müssten investieren

… wenn die NSA es will

Von jtf

Der aktuelle Computervirus hat weltweit seine Wirkung gezeigt. Betroffen sind nicht nur hunderttausende Systeme von Privatpersonen, die sich nun zum Teil neue Betriebssysteme und Rechner zulegen müssen. Auch die Industrie sowie staatliche Einrichtungen wurden in Mitleidenschaft gezogen.

Glück haben die, die eine eigene aufmerksame IT-Sicherheitsabteilung finanzieren können. Doch selbst die Deutsche Bahn hat es getroffen – wenn auch nur in sekundären Bereichen wie den Anzeigetafeln an Bahnhöfen. In einem Renault-Werk in Frankreich wurde gleich die gesamte Produktion angehalten – und das nur, weil der amerikanische Geheimdienst NSA einen Virus entwickelt und nicht ausreichend darauf aufgepasst hat.

Die Industrie kann die IT-Kosten für Sicherheit auf ihre Kunden oder durch Investitionsabschreibungen auf die Steuerzahler abwälzen. Anders sieht es bei den einfachen Verbrauchern aus. Wer bislang noch mit alten Windows-Versionen arbeitet, wunderte sich vielleicht gelegentlich, dass gar keine automatischen Updates mehr eingespielt wurden. Das US-Unternehmen Microsoft hat die Sicherheitsaktualisierungen für Systeme wie Windows XP eigentlich eingestellt. Selbst für Windows 7 werden nur noch bestimmte Updates entwickelt. Schließlich verdient der Konzern mit dem Verkauf neuer Produkte mehr als mit dem Flicken alter Systeme.

Viele Programme, die uns als „Erleichterung in der täglichen Arbeit“ angepriesen werden, sind entwickelt worden, um die Kassen der Hersteller zu füllen. Sie verdienen nicht nur an dem Neuverkauf, sondern auch an der Sammlung und Weitergabe von Nutzerdaten, was oftmals im Hintergrund und von den Nutzern unbemerkt erfolgt. Die so entstehenden Benutzerprofile sind für gezielte Werbung einsetzbar und auch Geheimdienste freuen sich, wenn das moderne Windows heutzutage beispielsweise mit Spracherkennung und Fingerabdrucksensoren arbeitet. Mit herkömmlichen Schnüffelmethoden wäre eine solche Datensammlung aufwändiger und teurer.

Das besonders von der Cyberattacke betroffene Windows XP läuft weltweit noch auf sehr vielen Rechnern. So beispielsweise in der Industrie, die ihre Steuerungsanlagen mit dem Betriebssystem eng verzahnt haben. Betroffen vom aktuellen Hackerangriff war auch das britische Gesundheitssystem. Mancherorts mussten Patienten wieder nach Hause geschickt werden, da die Kliniken keinen Zugriff auf die Gesundheitsdaten hatten. Erwischt hat es offenbar auch den Telekom-Konzern Telefónica in Spanien und das russische Innenministerium.

Dass die Konzernleitung jetzt so verschnupft auf den weltweiten Netzangriff reagiert und doch noch eine Aktualisierung für XP bereitstellt, liegt daran, dass das Unternehmen seine Monopolstellung nicht verlieren will. Für Großkunden wurden auch nach dem Ende des offiziellen Supports Aktualisierungen entwickelt – gegen Aufpreis, versteht sich. Ende 2014 zahlte der Bundestag über 100 000 Euro Steuergelder, damit die XP-Rechner der Abgeordneten und Verwaltung weiterlaufen können. Der Privatanwender musste sich hingegen ein neues System anschaffen. Bei vielen ist die Hardware so veraltet, dass Windows Vista, 7, 8 oder 10 gar nicht installiert werden kann und ein neuer Computer benötigt wird. Der Virus zwingt daher zur Investition in den neuesten Stand der Technik. Im Hartz-IV-Satz gibt es aber keinen Betrag für die vom NSA verschuldete zusätzliche Microsoft-Abgabe.

So bleibt für die Armen der Welt eigentlich vorerst nur, Windows zum Fenster herauszuwerfen und auf ein alternatives, kostenloses Linux-System zu setzen, das in der praktischen Anwendung fast so komfortabel wie herkömmliche Microsoft-Programme ist. Dass zukünftig auch dafür Viren in größeren Umlauf gebracht werden, ist absehbar. Wer sich also wirklich schützen will, muss entweder den ganzen Staat „hacken“ und umprogrammieren oder wieder zur guten alten Schreibmaschine greifen.

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"… wenn die NSA es will", UZ vom 19. Mai 2017



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