Finanzieller Druck wird eher der Pandemie als der Impfkampagne zum Durchbruch verhelfen

Wer nicht hören will, muss fühlen

Wer sich nicht impfen lässt, muss zahlen. Das ist die neue Marschrichtung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Natürlich bleibe das Impfen freiwillig – für die, die es sich leisten können. Die Grüne-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ist da schon einen Schritt weiter. Im zweiten „Triell“ der Kanzlerkandidaten von SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen sprach sie sich für eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen aus – etwa im Bildungs- und Gesundheitsbereich. Was für Bundeswehrsoldaten, die an allen Ecken und Enden in der Pandemie hätten anpacken müssen, gelte, könne für solche Berufsgruppen keine Zumutung sein.

Der Druck auf Menschen, die nicht von der Richtigkeit einer Impfung überzeugt sind, steigt allerorten, vor allem auf Kinder und ihre Eltern. Die 3G-Regel – mitmachen dürfen nur Getestete, Geimpfte und Genesene – war gestern. Immer häufiger greift für Veranstaltungen, Kultureinrichtungen, Gaststätten und Kneipen die 2G-Regel, die Getestete außen vor lässt. In Berlin diskutiert der Senat, dass Behörden an bestimmten Tagen nur für Geimpfte und Genesene zugänglich sein sollen. Für arme Menschen ist das ohnehin bald egal. Wenn die kostenlosen Tests abgeschafft sind, wird für sie aus 3G automatisch 2G. Sie werden sich das Testen, das zur Eindämmung der Pandemie auch bei hoher Impfquote notwendig bleiben wird, nicht leisten können.

Eine besondere Verschärfung stellt das Aussetzen der Lohnfortzahlung im Fall behördlich angeordneter Quarantäne für Nichtgeimpfte dar. Diese Möglichkeit war bereits im Kleingedruckten des Infektionsschutzgesetzes enthalten. Nun wird sie in mehreren Bundesländern umgesetzt. Die DKP sieht darin einen massiven Angriff auf die Rechte der Beschäftigten. „Getroffen werden alle Beschäftigten, am härtesten die mit den geringsten Einkommen“, erklärte die Partei. Im Falle behördlich angeordneter Quarantäne drohe der Verlust halber Monatsgehälter. Geringverdiener, die ohnehin Schwierigkeiten hätten, monatlich Miete und Strom zu zahlen, könne das an den Rand der Existenz bringen. Aber auch sogenannte Normalverdiener gerieten bei solchem Lohnverlust in Not.

Gesundheitsminister Spahn macht sich unterdessen Sorgen über den Zusammenhalt der Gesellschaft: „Wir erleben Spannungen, auf der Arbeit, in der Nachbarschaft, manchmal sogar in der Familie zwischen Geimpften und Nichtgeimpften.“ Aus diesen Spannungen dürften keine Spaltungen werden. Dabei ist es genau diese Politik, die die Menschen bewusst gegeneinander aufbringt. Für Spahn ist es zum Beispiel völlig unverständlich, warum andere dafür aufkommen sollten, wenn ein Impfunwilliger in Quarantäne muss: „Warum sollen alle anderen für jemanden, der sich nicht impfen lassen möchte, zahlen?“ Mehr Spaltung geht kaum.

„Die verschärfte Umsetzung des Infektionsschutzgesetzes ist das Gegenteil einer Impfkampagne, die vor allem auch in den ärmeren Bevölkerungsschichten auf Aufklärung und niederschwellige Impf-Angebote setzt“, so Patrik Köbele, Vorsitzender der DKP. Beschäftigte würden über finanziellen Druck gezwungen, sich impfen zu lassen oder die Regelungen zu unterlaufen. So werde die Pandemie nicht eingedämmt, sondern befördert. Sollte die Verantwortung im Umgang mit der Pandemie weiterhin auf die Menschen abgewälzt und vom staatlichen Versagen abgelenkt werden, sei es kein Wunder, dass das Vertrauen in die Maßnahmen der Regierung und auch in die Impfkampagne weiter schwindet.

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Über die Autorin

Wera Richter, geboren 1969, ist stellvertretende Parteivorsitzende der DKP und Chefredakteurin der UZ. Die journalistische Laufbahn begann in jungen Jahren mit einem Praktikum bei der UZ mit Rolf Priemer als Chefredakteur. Damals wurde die UZ wieder Wochenzeitung. Später arbeitete die gelernte Gärtnerin im Ressort Innenpolitik der Tageszeitung junge Welt. Auf dem 20. Parteitag der DKP 2013 wurde Wera Richter zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt und übernahm die Verantwortung für die Organisationspolitik. Ein Job, den sie in der SDAJ kennen und lieben gelernt hatte. 2020 löste sie Lars Mörking als UZ-Chefredakteur ab.

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"Wer nicht hören will, muss fühlen", UZ vom 17. September 2021



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