Wir stehen vor riesigen Herausforderungen

Nina Hager im Gespräch mit Cornelia Kerth, Vorsitzende der VVN-BdA

UZ: Das Bundesverfassungsgericht (BVG) hat endlich beschlossen, das Hauptsacheverfahren über die Anträge des Bundesrates zum Verbot der NPD durchzuführen. Die VVN-BdA hat das in einer Erklärung begrüßt …

Cornelia Kerth, Vorsitzende derVVN-BdA

Cornelia Kerth, Vorsitzende derVVN-BdA

( VVN-BdA)

Cornelia Kerth: Seit es die NPD gibt, haben wir darauf hingewiesen, dass sie als NSDAP-Nachfolgeorganisation allein schon nach Art. 139 des Grundgesetzes gar nicht existieren dürfte. In den 1990er Jahren konnte sie sich als die erfolgreichste Struktur der extremen Rechten zum Bindeglied zwischen deren verschiedenen Fraktionen etablieren, was sie – trotz Schwächen – bis heute ist. Sie hat schon damals wesentlichen Anteil an der Entstehung des Milieus gehabt, aus dem heraus bis heute fast 200 Menschen umgebracht wurden, weil sie im Menschenbild der Nazis als „minderwertig“ oder als „Feinde“ denunziert werden. In den verschiedenen NSU-Untersuchungsausschüssen ist auch die Verbindung zwischen der NPD und dem terroristischen Untergrund immer wieder deutlich geworden. Dass nun das BVG endlich das Hauptverfahren eröffnet, ist u. E. überfällig. Seit 2007 haben wir mit unserer nonpd-Kampagne darauf hingewirkt.

UZ: Was ist heute anders als 2001–2003, als die damalige Bundesregierung einen Antrag beim BVG mit dem Ziel einreichte, die Verfassungswidrigkeit der NPD feststellen zu lassen und damit ein Verbot dieser Partei zu erreichen? Bundestag und Bundesrat folgten mit eigenen Anträgen. Oder was ist anders als 2013?

Cornelia Kerth: Zunächst einmal muss daran erinnert werden, dass das Verfahren 2003 ja eingestellt wurde, weil das Gericht angesichts der Menge an Nazis, die als „V-Leute“ vom Verfassungsschutz finanziert und „geführt“ wurden, der Meinung war, es sei nicht nachweisbar, welche Äußerungen und Aktivitäten tatsächlich der NPD und welche dem VS zuzuordnen seien. Damit hat das Gericht zugleich schon auf die skandalöse Verquickung der Geheimdienste mit der Nazi-Szene hingewiesen, die auch beim Thema NSU eine große Rolle spielt und übrigens bis jetzt nicht im Ansatz angemessen aufgeklärt ist. Nun haben Bundes- und Länderbehörden nach eigener Auskunft ihre „Quellen“ zumindest in den Leitungsebenen der NPD abgeschaltet. Man kann nur hoffen, dass dem so ist.

Der Verbotsantrag von 2013 ist natürlich auch eine Folge der zufälligen Entdeckung des NSU und der ersten Ermittlungsergebnisse dazu gewesen. Inzwischen kommt dazu, dass die NPD als Drahtzieherin hinter den meisten rassistischen Mobilisierungen vom Typ „Nein zum Heim“ steht. Da es kaum ermittelte Täter für die fast täglichen gewalttätigen Angriffe auf Unterkünfte für Geflüchtete gibt, kann man diese natürlich nicht einfach der NPD zurechnen; die Vermutung, dass sie von deren Propaganda aufgeputscht sind, liegt aber nahe. Dass natürlich auch einschlägige Äußerungen (un-)verantwortlicher PolitikerInnen RassistInnen in ihrem Wahn bestätigen, sie exekutierten durch Mord, Totschlag und Brandstiftung einen „Volkswillen“, ändert daran nichts.

UZ: Ein Verbot der NPD ist jetzt möglich: Was würde das konkret bedeuten?

Cornelia Kerth: Auf jeden Fall würde das bedeuten, dass damit ein öffentliches Signal gesetzt wäre, dass Faschismus keine Meinung ist. Die NPD könnte nicht mehr die Vorteile des Parteienprivilegs in Anspruch nehmen und sie würde ihr Vermögen verlieren: vor allem staatliche Zuwendungen an MandatsrträgerInnen der NPD und steuerbegünstigte Spenden sowie Einnahmen aus dem Vertrieb von Presseerzeugnissen, Büchern und allerlei Szene-Accessoires. Sie könnte nicht mehr in der „Deutschen Stimme“ hetzen und sie könnte ihr DS-Verlagshaus in Riesa nicht weiter unterhalten, von wo aus das braune Netz über ganz Sachsen gesponnen wird. Ihre Möglichkeiten, die pogromartigen Mobilisierungen gegen Geflüchtete und ihre Unterkünfte zu organisieren, würden deutlich eingeschränkt und vielleicht wäre dann die Situation in Sachsen ein bisschen weniger bedrückend …

UZ: Bestehen aber inzwischen nicht mit der Partei „Die Rechte“ u. ä. Organisationen, mit Pegida und Co., aber vor allem mit der AfD, bereits „Auffanglinien“ für die NPD? Und die AfD gewinnt mit ihren Positionen gegen Flüchtlinge, ihrer Hetze und sozialen Demagogie laut aktueller Umfragen immer mehr auch bei Wahlen an Zustimmung. Sie könnte in den nächsten Bundestag einziehen …

Cornelia Kerth: Ja, es gibt „Die Rechte“ und es gibt den „Dritten Weg“ und auch weiterhin diejenigen, die gar keine parteiförmige Organisation wollen. Aber bisher jedenfalls ist nicht erkennbar, dass eine dieser Formationen die Rolle der NPD als strukturierendes Zentrum übernehmen könnte. Es ist zudem im Verbotsantrag auch ein Verbot von möglichen Ersatz- und Nachfolgeorganisationen enthalten, so dass NPD-Kader nicht geschlossen übertreten können.

Pegida und die AfD stellen allerdings ein Problem ganz anderer Dimension dar. Beide finden erhebliche Zustimmung und Zulauf in der „Mitte“ der Gesellschaft, d. h., bei Menschen, deren erster Satz ist „Ich bin kein Nazi, aber …“ und die dann immer offener all‘ das sagen, wovon wir durch viele Studien wissen, dass sie es schon lange im Kopf haben, aber zumindest nicht laut zu sagen wagten. Bei Pegida treffen sich Nazis und der deutsche Stammtisch, die AfD trägt diese Mischung in die Parlamente – Frau Petry vielleicht mit etwas Scheu nach ganz rechts, Herr Höcke ganz gezielt.

UZ: Reicht deshalb ein NPD-Verbot? Muss nicht in der Gesellschaft mehr gegen Faschisten und Rassisten getan werden? Müssen antifaschistische Traditionen und antifaschistisches Handeln nicht ein anderes Gewicht erhalten statt staatlicherseits Antifaschistinnen und Antifaschisten zu kriminalisieren, die sich faschistischen Aufmärschen oder auch Pegida und Co. entgegenstellen?

Cornelia Kerth: Natürlich reichen Verbote nicht. Das haben wir auch nie behauptet. Das Verbot ist ein wichtiger Schritt, ein klarer Schnitt zwischen Faschismus und verfassungsmäßig garantierter Meinungsäußerung, eine sichtbare Grenze für alle, die glauben, was legal ist, sei auch legitim. Eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit faschistischer und rassistischer Ideologie bleibt zwingend erforderlich

Wir haben ja schon über Pegida und AfD gesprochen. Angesichts der Tatsache, dass die Zahl der Menschen, die nach Deutschland flüchten, in den kommenden Jahren – allen Versuchen, die Grenzen dicht zu machen zum Trotz – eher steigen wird und angesichts der fast jede Nacht brennenden Häuser, stehen wir vor einer riesigen Herausforderung. Gar nicht davon zu reden, dass sich in der Regierung und den sie tragenden Parteien diejenigen durchgesetzt haben, die Deutschland schon jetzt „überfordert“ sehen.

Das heißt, wir müssen auch weiterhin mit möglichst vielen BündnispartnerInnen rassistischen Mobilisierungen entgegentreten, offene Grenzen und gleiche Rechte für alle Menschen einfordern. Zum Glück gibt es in jeder Stadt und selbst auf dem platten Land auch die vielen, die den Geflüchteten zur Seite stehen. Das birgt die Chance, dass wir am Ende der gesellschaftlichen Auseinandersetzung einen Schritt weiter sind …

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Wir stehen vor riesigen Herausforderungen", UZ vom 18. Dezember 2015



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