„Die Grenzgänger“ haben Hölderlin-Gedichte musikalisch interpretiert

Zornige Sehnsucht

Im März erschien die neue CD der Gruppe „Die Grenzgänger“, aber alle geplanten Konzerte mussten erstmal abgesagt werden. In der Planung für das UZ-Pressefest 2020 waren die Musiker fest vorgemerkt, so kann man sich nur die CD anhören mit dem schlichten Titel „Hölderlin“. Es sind insgesamt 14 Interpretationen von Texten des Dichters, dessen 200. Geburtstag wir in diesem Jahr feiern können. „Die Grenzgänger“ begleiten ihren Gesang mit Gitarren, einem Cello, einem Akkordeon, dem Saxophon und dem Schlagzeug. Entstanden ist eine spannende Auseinandersetzung mit dem Werk von Friedrich Hölderlin. Die Auswahl ist notgedrungen eine, die schmerzlich andere, wichtige Texte auslässt.

Im Folgenden einige fiktive, kleine Brief-Billets von Friedrich Hölderlin an „Die Grenzgänger“, ein wenig angelehnt an den bekannten Briefroman „Hyperion“ des F. H.

Schicksalslied

Liebe Freunde! Vielen Dank für die Übermittlung Eurer Vertonungen meiner Gedichte. Ich will mich in nächster Zeit gerne an Euch wenden, um meine Eindrücke und den von mir erinnerten Hintergrund zur jeweiligen Entstehung meiner Texte zu schildern. Mit Euren Interpretationen steht Ihr in einer ehrenvollen Reihe von Komponisten, die sich meiner Dichtung angenähert haben. Dazu zählen unter anderen Johannes Brahms, Hanns Eisler, Viktor Ullmann und Benjamin Britten.

Ihr beginnt mit dem „Schicksalslied“, einem Gedicht innerhalb des „Hyperion“, ich habe es geschrieben, nachdem ich meine geliebte Suzette verlassen musste, in einer Erinnerung an die „glücklich unverständige Jugend“. Ihr findet einen ruhigen, nachdenklichen Ton, die Instrumentalbegleitung ist sparsam, so wird die Eindringlichkeit der Klage doch sehr deutlich.

Hymne an die Freiheit

Liebe Freunde! Im Sommer 1792 gewährte man mir allergnädigst einen Monat Kur, die ich nutzte, um Erfahrungen im Tübinger Stift zu verarbeiten. Dabei entstand die „Hymne an die Freiheit“, in einer ersten Fassung schrieb ich noch von verödeten Tyrannenstühlen und modernden Tyrannenknechten, der Optimismus war mir damals noch geblieben, ich schloss den Text mit dem Wunsch „Modert, Knechte! Freie Tage steigen lächelnd über euern Gräbern auf.“ Ihr habt meine Stimmung gut getroffen, eine sehr rhythmische, schwungvolle Melodie unterstreicht die Worte. Übrigens: Hier erwähne ich erstmals die Figur Hyperion, die mich dann jahrelang begleitete.

Blödigkeit

Liebe Freunde! Im Jahr 1804 ging es mir gar nicht mehr gut. Viele Pläne hatten sich in Rauch aufgelöst, die Krankheit setzte mir zu. Dennoch war ich fleißig, an meinen Verleger schrieb ich, die kleine Sammlung sei entstanden „ in den engen Schranken unserer noch kinderähnlichen Kultur“. Leider wurde eine Briefstelle, wo ich vom „reinen Frohlocken vaterländischer Gesänge“ schrieb, von späteren Herausgebern meiner Gedichte als Überschrift verwandt, was nun ganz und gar nicht meine Intention war. Die „Blödigkeit“ habt ihr treffend interpretiert, als Sprechgesang kommt deutlich zum Tragen, was ich mit diesem spöttischen Ton gemeint habe.

Hälfte des Lebens

Liebe Freunde! Vielen ist seit damaliger Zeit das kleine, nur zweistrophige Gedicht „Hälfte des Lebens“ bekannt. Beim Hinhören Eurer Bearbeitung war ich, so muss ich sagen, doch ein wenig enttäuscht. Entweder habt Ihr die dialektische Spannung, die ich versuchte auszudrücken, nicht wahrgenommen, oder aber ich habe mich nicht klar genug verständlich gemacht. Es geht nicht um eine – wie Ihr vielleicht sagt – „midlife crisis“, die Bilder zum Sommer und zum Winter sind nicht dualistisch entgegengesetzt. Ihr spielt zum Text mit nur einer Melodie, es hört sich gefällig an, vielleicht hätten harte Töne dem Gedicht mehr entsprochen.

An die klugen Ratgeber

Liebe Freunde! Viel Spaß hat mir Euer Versuch gemacht, mein Gedicht „An die klugen Ratgeber“ zu gestalten. Seit Anfang 1796 schrieb ich Einladungen zur Mitarbeit an einer von mir geplanten Literaturzeitschrift „Iduna“. Die Reaktionen waren eher bescheiden, Goethe antwortete gar nicht, Schiller fühlte sich wohl bei eigenen Projekten gestört. So schrieb ich diesen langen Text, schickte ihn an Schiller für seinen Almanach und bekam ihn heftig korrigiert zurück. Ich habe nichts mehr damit gemacht, ich war aber wohl verstanden worden. Ihr habt die Form eines spöttischen Tanzes gewählt, passt sehr schön, besonders wenn es heißt, „Begrabt sie nun, ihr Toten, eure Toten“.

So kam ich unter die Deutschen

Liebe Freunde! Gerne zitiert wird der Ausschnitt aus meinem „Hyperion“, bekannt als Gedicht „So kam ich unter die Deutschen“. So deutlich habe ich selten geschimpft, aber was tat sich denn seit 1796? Nur wenige schlossen sich den Idealen der Französischen Revolution an, gebannt starrte man auf die Feldzüge Napoleons, ließ aber die absolutistischen Herrscher in deutschen Landen ihre reaktionären Bündnisse schmieden. Ihr seid in „die Vollen“ gegangen, der mehrfach verwendete Refrain wurde mit – für mich neuartigen – Instrumenten kraftvoll begleitet, der eigentliche Text als Sprechgesang war eine kluge Idee, damit auch alles gut verständlich ist.

Rousseau

Liebe Freunde! Ihr habt wohl gewusst, wie nah mir die Ideen Jean Jacques Rousseaus waren. Ab 1800 hatte ich unruhige Zeiten, ich musste weg von Frankfurt und Bad Homburg, ging zurück nach Nürtingen zur Mutter, dann aber weiter nach Stuttgart. Meinem Halbbruder schrieb ich, „… dass ich wahrhaft lebte, wenn nicht noch alte Leiden in mir zuweilen“. Die Ode „Rousseau“ ist in dieser Stimmung entstanden, ich schrieb, „… und niemand weiß den beschiedenen Weg zu weisen“. Ihr nehmt den elegischen Ton meines Gedichtes sehr schön auf, die Stimmung ist getroffen. Ach, wenn ich in dieser Zeit Freunde gefunden hätte, die mir einen Weg gezeigt hätten, mir wäre manches Leid gemildert worden.

Zornige Sehnsucht

Liebe Freunde! Ein frühes Stück von mir ist trefflich von Euch gestaltet worden. „Zornige Sehnsucht“ schrieb ich in meiner Zeit als Stipendiat des Tübinger Stifts, der Lehr- und Zuchtanstalt des württembergischen Herzogs. Es war 1789, ich schlug jemandem den Hut vom Kopf, der es an der gebotenen Höflichkeit fehlen ließ, und kassierte eine Karzerstrafe. Ich schrieb „Ich duld‘ es nimmer, ewig und ewig so, die Knabenschritte, wie ein Gekerkerter. Die kurzen, vorgemess‘nen Schritte täglich zu wandeln, ich duld‘ es nimmer!“ Ihr habt meinen Text ein wenig umgestellt, aber gut so, so hört es sich hart und wütend an, diese meine jugendliche Sehnsucht schlägt sich nur den Kopf an der Wand blutig.

Die Aussicht

Liebe Freunde! Warum ihr den Text „Die Aussicht“ aufgenommen habt, erschließt sich mir nicht so ganz. In den vielen Jahren bei meiner Pflegefamilie Zimmer in Tübingen schrieb ich, wenn Besucher etwas erbaten, schnell und hastig einige Zeilen, damit sie Ruhe gaben. Auch gab ich für diese „Gedichte“ nie meinen Namen her, sondern unterschrieb mit Scardanelli oder Buonarotti. Wenn geschrieben, komplimentierte ich die lästigen Menschen wieder aus dem Zimmer und vergaß das soeben Geschriebene. Es ist eigentlich nicht viel wert, was dann dennoch in irgendwelchen Ausgaben gedruckt erschien, manche wollten darin mit Schaudern das „dem Wahnsinn verfallene Genie“ auslesen können. Ihr habt Euch dabei bemüht, aber weder meine Umnachtung noch mein Genius sind im Text und folgerichtig auch nicht in Eurer Bemühung.

Schwabens Mägdelein

Liebe Freunde“. Der Schluss der CD ist das nette, kleine Liedlein für meine geliebte Schwester Rieke, ich nannte es „Schwabens Mägdelein“. So sehr ich meine Heimat schätzte, es ging aber engstirnig und dumm her, die Schwester war mir lieb und teuer, aber solch eine Kleinigkeit musste nicht vertont werden. Lieber hätte ich gehört, wie Ihr eines meiner Liebeslieder interpretiert hättet. Nicht nur ich selbst mag die „Diotima“-Gedichte, sie sollen zu den schönsten Gedichten dieser Art zählen – so sagt man – und wären einer Arbeit durch Euch würdig.
Aber sei es drum: Insgesamt habt Ihr eine hörenswerte CD herausgebracht, ich hoffe, Ihr könnt die Lieder bald auch vor Publikum singen und spielen.

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Über den Autor

Herbert Becker (Jahrgang 1949) hat sein ganzes Berufsleben in der Buchwirtschaft verbracht. Seit 2016 schreibt er für die UZ, seit 2017 ist es Redakteur für das Kulturressort.

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"Zornige Sehnsucht", UZ vom 29. Mai 2020



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