Ein Aktivtagungsbericht

Zu Besuch bei gesundheitsbewegten Ärztinnen und Ärzten

Von Lothar Geisler

Branchentreff

Gesundheitswesen

Die Kommission Betriebs- und Gewerkschaftspolitik beim Parteivorstand der DKP lädt ein zu einem bundesweiten Branchentreffen für Beschäftigte in den Krankenhäusern.

Samstag, 10. Dezember 2016

Im Haus der DKP,

Hoffnungstraße 18, 45127 Essen.

Um Anmeldung wird gebeten:

dkp.pv@t-online.de.

Wer an diesem verlängerten Wochenende Mitte November beim Gesundheitspolitischen Forum aus Anlass des 30. Geburtstages des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte (vdää) nur gutsituierte 68er- Grauköpfe (m+w) aus medizinischer Forschung, Lehre oder Praxis erwartet hatte oder langatmige Lobesreden von Standesvertretern, wurde in mehrfacher Hinsicht eines Besseren belehrt. Von den über hundert TeilnehmerInnen waren knapp die Hälfte jüngere (Assistenz-)Ärztinnen und Ärzte als auch ganz junge Kritische-Medizin-Studis, die diese vdää-Konferenz als bundesweites Netzwerktreffen nutzten. Der Ort des Events – das Studierendenhaus der Uni Frankfurt (in dem die Spuren eines nächtlichen Gelages noch erlebbar waren) sowie kleinere organisatorische Pannen (Mikros futsch – ein Referent verspätet bzw. pünktlich, aber an falschem Ort) erinnerten nicht nur den vdää-Vorsitzenden Wulf Dietrich an die eigene Studienzeit. Man nahm‘s gelassen, „improvisierte studentisch“ und Tagungslangeweile quälte nie und niemanden. Man experimentierte planvoll, aber „etwas aufgeregt, ob das klappt“ (vdää-Vorstandsmitglied Michael Janßen) mit Pecha-Kucha1- und anderen Impulsvorträgen, Fishbowl2-Runden und Workshops gegen das „Death-by-Powerpoint-Syndrom“ an. Erfolgreich: alle wurden wachgehalten und möglichst viele aktiv einbezogen. (Bei der abendlichen Revue „30 Jahre vdää“ mit anschließenden Gesprächen, Musik und Tanz strich allerdings nicht nur der einzig anwesende Pressevertreter ermattet die Segel.) Und inhaltlich ging es selbst in den rückblickenden Geburtstagsthesen des Gründungsmitgliedes und langjährigen Vorsitzenden des vdää, Hans-Ulrich Deppe (siehe Marxistische Blätter 1_2017), „mit bekannt kämpferischem Impetus und klarer Haltung“ (Michael Janßen) weniger um Vergangenes als um zentrale Fragen der Gegenwart und Zukunft unseres Gesundheitswesens und das Selbstverständnis einer sozialen Bewegung zu seiner Demokratisierung.

Die ReferentInnen-Mischung dieser Tagung illustriert die soziale Breite dieser Gesundheitsbewegung, die auf vielen Feldern agiert: demokratisch engagierte ÄrztInnen (Peter Hoffmann, vdää und Bündnis „Krankenhaus statt Fabrik“), kämpfendes Pflegepersonal und Gewerkschafter (Grit Wolf, ver.di-Betriebsgruppe Charité/Berlin und Kalle Kunkel, ver.di Berlin), Friedensaktivisten (Matthias Jochheim, IPPNW), antimonopolistische Ent­wicklungsinternationalist*innen (Anne Jung, medico international) und Jörg Schaaber, BUKO-Pharmakampagne), Patientenberater (Peter Friemelt, Gesundheitsladen München eV.), Anti-Korruptions-Kämpferinnen (Christiane Fischer, Verein „Mezis“, was der Pharmaindustrie signalisiert „Mein Essen zahl’ ich selbst“), Alternativ-Modell-Bauer, die an Systemgrenzen kratzen (Phil. Dickel, Poliklinik Hamburg Veddel e. V.) oder – durchaus auch am Gemeinwohl orientierte – Nischen im System suchen (Helmut Hildebrandt, Apotheker und Geschäftsführer der „Gesundes Kinzigtal GmbH“). Parteien-Vertreter*innen waren nicht sichtbar.

Inhaltich ging es in drei Panels vor allem um die Fragen: 1. Was ist gute Medizin? (David Klemperer, Uni Regensburg/Helmut Hildebrandt) 2. Ist die Pharmaindustrie zu stoppen? (Gerd Glaeske, Uni Bremen/Jörg Schaaber) 3. Nur Widerstand hilft. Zur Zukunft der Krankenhäuser (Grit Wolf/Peter Hoffmann).

Vertieft wurde die Diskussion in fünf Workshops: Preispolitik der Pharmaindustrie bei hochpreisigen Arzneimitteln; Ärzteopposition heute; Pharma-Forschung an nichteinwilligungsfähigen Patient*innen; Freihandel und Gesundheitswesen; Kämpfe im Gesundheitswesen. Sehr anregend, aber leider etwas kurz, war die Debatte „Wie stellen sich junge Mitglieder ärztliche Opposition vor?“ Als die Fishbowl-Runde zum Thema so richtig in Bewegung kam, war sie schon zu Ende. Allerdings wagten sich die Jungen im anschließenden Workshop „Kämpfe im Gesundheitswesen“ an das Projekt eines „Fünfjahrplans“ für den vdää-Vorstand, der auf der anschließenden Mitgliederversammlung schon mal ein neues Kapitel „Flucht und Migration“ für sein Programm diskutierte. Wichtig auch, weil viele der Jungen in der Flüchtlingsbetreuung aktiv sind.

Die ganze Themenpalette auch nur ansatzweise inhaltlich wiederzugeben wäre ein von vornherein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen.3 Beschränken möchte ich mich auch darum auf den Themenkomplex „Krankenhäuser“, denn hier bündeln sich Probleme und Interessen – gemeinsame wie separate – von PatientInnen, ÄrztInnen, Pflegepersonal und privatkapitalistischen wie öffentlich-rechtlichen Betreibern; hier spitzen sich strukturell-systemische Widersprüche zu, die über Einzelskandale oder individuelle Fehlleistungen hinausgehen und: hier gibt es neue, erfolgversprechende Kampferfahrungen der Beschäftigten.

Peter Hoffmann, Anästhesie-Arzt aus München, lenkte den Blick auf das berufliche „Sandwich“-Feeling von ÄrztInnen und Pflegepersonal. Oben: die Betriebswirte und Mangelverwalter mit ihren ökonomisch begründeten „Sachzwängen“ (oder Chefärzte, die wie Betriebswirte denken und handeln). Unten: die PatientInnen mit ihren Problemen, Bedürfnissen und Ängsten. Und die „weißen Berufe“ mitten drin, eingeklemmt in strikten Hierarchien, hin- und hergerissen zwischen dem, was im Patienteninteresse notwendig und dem, was machbar ist. Mit Appellen für ein Mehr an „moralischem Verhalten“ und weniger „asoziale, elitäre Grundimprägnierung der Ärzte“ sei der Krankenhausalltag nicht grundlegend zu verändern. „Man muss die Verhältnisse in den Krankenhäusern verändern, um Verhaltensänderungen möglich zu machen“, so Hoffmann. Und dazu gehöre „ganz oben auf der Liste“ die Abschaffung des Fallpauschalen-System mit seinen – mittlerweile auch im Mainstream erkannten – negativen Auswirkungen, z. B. der Orientierung auf „lukrative“ Patienten und „die größtmöglichen Eingriffe, die bei entsprechender Indikation zu rechtfertigen sind.“ Diese deutsche Variante des DRG-Systems „kostet viel, liefert keine guten Ergebnisse und gefährdet die Patienten“, u. a. „weil minimal-inversive Eingriffe nicht profitabel“ seien. Von den Regierenden erwartet Hoffmann „nichts Gutes“ und setzt auf außerparlamentarischen Druck, den auch das Bündnis „Krankenhaus statt Fabrik“ erhöhen will.

Als Grit Wolf, Krankenpflegerin an der Berliner Charité, vom langjährigen Tarifkampf dort berichtete, war der Aufmerksamkeitspegel im Saal besonders hoch. Sie skizzierte ihre Erfahrungen mit der gewerkschaftlichen Streikstrategie („Verzicht auf kurzfristige Streikankündigung“, „Notdienstvereinbarungen“, „Mit wenigen Streikenden viel erreichen“), mit den TarifberaterInnen („Expertise der KollegInnen einbeziehen“, „Widerstand ist im Team am schönsten“) und dem über das Krankenhaus hinausgehende Bündnis „Mehr Personal im Krankenhaus!“ Sie sieht angesichts des dramatischer werdenden Pflegenotstandes neue Chancen, das von Humanismus und Nächstenliebe bestimmte Berufsethos des Pflegepersonals als Quelle für den Widerstand zu nutzen. Und sie berichtete von gewachsenem Selbstbewusstsein Beschäftigter gegenüber der Unternehmensleitung. Selbige hatte die Klinikgänge mit Aufklebern pflastern lassen: „Streik ist keine Lösung“. Sie wurden vom Pflegepersonal entfernt – mit der Begründung, das seien „Stolperfallen für Patienten“.

Befragt nach den Streikerfahrungen mit Ärzten und Ärztinnen an der Charité meinte Grit Wolf höflich-verständnisvoll-optimistisch: „Schwieriges Thema.“ Die Streikenden hätten „im privaten Gespräch Verständnis erlebt“ und „viel Lippenbekenntnisse gehört.“ Aber: besonders die Assistenzärzte täten ihr alle leid. Über die vielen kritischen Medizin-Studis freue sie sich als Gewerkschafterin: „Da wächst was!“ Und für den „Pflegeaufstand 2017“ wünsche sie sich einfach mehr Beteiligung der Ärzte und Ärztinnen. Der Beifall der hier Versammelten war der Kollegin sicher.

Der Gedanke einer verstärkten „berufsgruppen- und sektorenübergreifenden“ Zusammenarbeit zog sich als roter Faden durch viele Diskussionsbeiträge. Peter Friemelt meinte ironisch-selbstkritisch-bayrisch: „a bissel linke Patientenpolitik“ und „a bissl linke Standesvertretung“ mache noch keine sektoren- und berufsgruppen übergreifende Gesundheitsbewegung aus. Pola Neuling und andere Medizin-Studierende forderten u. a. die möglichst lange gemeinsame Grundausbildung aller „weißen Berufe“ in einem „Gesundheits-Campus“ und „pharmakonzernfreie Weiterbildungsmöglichkeiten“.

Winfried Beck, langjähriger vdää-Vorsitzender, meinte: „Die Ärzteschaft muss weg von der privilegierten Komplizenschaft, hin zur privilegierten Solidarität. Daran arbeiten wir.“ Und Peter Hoffmann (vdää-Vorstandsmitglied) sagte „radikal, unverblümt und gegen die Sachzwanglügen der Betriebswirte“: „Die Dinge müssen nicht so sein, wie sie sind. Kapitalismus ist kein Naturgesetz.“ Die letzten beiden Statements kamen in der Diskussion und waren nicht als Schlussworte gedacht. Der Autor dieses Berichtes hat sie dazu gemacht, um ein Ende zu finden.

(Gekürzter Vorabdruck aus „Marxistische Blätter“ mit dem Schwerpunktthema „Gesundheitsmarkt, wie krank ist das denn?“, Auslieferung Anfang Januar 2017)

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"Zu Besuch bei gesundheitsbewegten Ärztinnen und Ärzten", UZ vom 2. Dezember 2016



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