Das Bündnis ist Gold wert

Werner Sarbok im Gespräch mit Daniel Brinkmann

Ein Metallkoffer mit einer Papierrolle darin reist seit Januar kreuz und quer durch Deutschland, von Krankenhaus zu Krankenhaus. Darin befindet sich der „Olympische Brief“ an Gesundheitsminister Jens Spahn. Über eine Aktion in Brandenburg an der Havel sprachen wir mit den Kollegen Daniel Brinkmann (Name von der Redaktion geändert), Gewerkschafter und Krankenpfleger.

UZ: Der „Olympische Brief“ hat Anfang März Station im Städtischen Klinikum in der Stadt Brandenburg an der Havel gemacht. Was hat sich dort abgespielt?

Daniel Brinkmann: Wir haben uns innerhalb unserer Gewerkschaftsgruppe aufgeteilt, wer zu welcher Zeit aktiv Unterschriften sammelt. Es gab dann drei Gruppen – eine zur Frühschichtzeit, eine am Nachmittag und eine zum späten Abend. Wir haben Bürger angesprochen, Patienten, Besucher, Pflegekräfte, kurz alle, die wir angetroffen haben. Den Brief kann jeder unterschreiben, der sich mit den Zielen identifiziert.

UZ: Wie ist die Aktion bei den Kolleginnen und Kollegen angekommen?

Daniel Brinkmann: Ganz großartig. Ich war überrascht von der Resonanz. Alle Mitstreiter haben beim Sammeln die gleichen Erfahrungen gemacht wie ich. Wir haben uns hierzu auch im Nachhinein gut ausgetauscht. Unsere „Trefferquote“ lag bei 100 Prozent. Jeder, den wir angesprochen haben, hat unterschrieben.

Manchmal brauchten wir nicht viel zu sagen. Ansonsten haben wir die Aktion vorgestellt, dass sie durch die ganze BRD geht, dass wir Unterschriften sammeln für mehr Personal in den Gesundheitseinrichtungen, für bessere Arbeitsbedingungen, und da haben die Leute schon den Stift in die Hand genommen und unterschrieben.

Andere wollten Genaueres wissen, wo ist der Brief, wo kann man seinen Weg verfolgen, da haben wir auf das Internet verwiesen. Es gab großes Interesse daran, wie dann die Unterschriften an Herrn Spahn übergeben werden sollen. Wir haben viele Gespräche geführt. Überzeugt werden brauchte niemand. Es hat alles hervorragend geklappt – du hörst ja, ich bin jetzt noch begeistert.

UZ: Am Klinikum in der Stadt Brandenburg kämpfen Beschäftigte mit ihrem Betriebsrat und ver.di schon länger für Entlastung, bessere Arbeitsbedingungen und für mehr Personal. Siehst du da Fortschritte in den letzten Monaten?

Daniel Brinkmann: Wir sind eine der Kliniken, die sich, von ver.di organisiert, an den Aktionen für einen Tarifvertrag Entlastung beteiligen. Vor etwa einem Jahr begann dieser Kampf. Wir waren eine der 20 Einrichtungen, die bundesweit darin eingebunden sind. Durch unseren sehr guten gewerkschaftlichen Organisierungsgrad sind wir das einzige Krankenhaus im Land Brandenburg, welches daran teilnimmt. Auch unsere mehrfach bewiesene Streikbereitschaft hat zum Erfolg beigetragen. Es ist ja ein Novum, dass ein Tarifkampf nicht für mehr Geld, sondern für Entlastung der Beschäftigten geführt wird.

Gestern wurden durch die Tarifparteien die Eckpunkte unterzeichnet. Der hoffentlich nun bald geeinte Tarifvertrag wird in der BRD einmalig für ein kommunales Krankenhaus sein und als Vorbild dienen. Mit diesen Eckpunkten könnten wir erst einmal leben. Die Arbeitgeber haben anscheinend eingesehen, dass es mit dieser dünnen Personaldecke nicht weitergehen kann. Es ist für die Betreuung der Patienten zu gefährlich. Sie probieren nun verschiedene Möglichkeiten aus, neues Personal anzuwerben, bis hin zur Pflegekräftesuche auf den Philippinen und in Osteuropa.

UZ: Siehst du da auch andere Wege?

Daniel Brinkmann: Ja. Wir haben tatsächlich einen weiteren Ansatz. Die Arbeitgeber erklären immer wieder, es gebe kein ausreichendes Pflegepersonal. Doch, da sind Reserven. Wenn man sich mehr bemühen würde seitens der Pflegedienstleitungen und der Geschäftsführungen, mit den Beschäftigten wertschätzend zu kommunizieren, sie zu motivieren, ihre Arbeit anzuerkennen, wären wir schon einen großen Schritt weiter. Wir legen den Schwerpunkt darauf, dass sich diese Leitungen bemühen, die Beschäftigten, die wir haben, auch im Unternehmen zu halten. Das ist ja ein großes Problem, das derzeit kaum diskutiert wird. Warum gehen so viele Beschäftigte aus der Pflege raus? Warum wollen ehemalige Pflegende nicht zurück in die Krankenhäuser? Die Arbeitsbedingungen müssen besser werden.

Wir sollten in erster Linie diejenigen halten, die wir bereits haben. Auf den Stationen sind beispielsweise kaum Schwestern über 60. Man muss Anreize und Möglichkeiten schaffen, die älteren Kollegen, die vielleicht auch leistungsgemindert sind, im Unternehmen zu halten. Die Schaffung von altersspezifischen Personalmaßnahmen wird zukünftig viel Gewicht bekommen.

In unserem Klinikum sind 1 000 Menschen beschäftigt, nimmt man die Tochterunternehmen dazu, kommst du auf rund 2 000 Beschäftigte: Da muss doch auch Platz für beeinträchtigte Kollegen und für Alleinerziehende sein. Das wird anscheinend noch nicht ausreichend gewollt. Die in ihrer Leistung Eingeschränkten möchte man wohl lieber loswerden. Das geht so nicht mehr!

Doch zurück zur Ausgangsfrage: Ja, wir sind sicher, dass in der nahen Zukunft der Tarifvertrag Entlastung für das Klinikum Brandenburg kommt, nicht nur das Eckpunktepapier.

UZ: Welche Rolle können lokale Bündnisse spielen, den Kampf von ver.di für mehr Personal in der Pflege zu unterstützen?

Daniel Brinkmann: Also erstmal: ver.di sind wir – es ist unser gemeinsamer Kampf! Lokale Bündnisse spielen hierbei eine ganz große Rolle. Das Thema an sich – Krankenhaus, Pflegepersonal und dessen Arbeitsbedingungen – steht bei den Bürgern üblicherweise nicht ganz so weit oben. Wenn wir ehrlich sind: Wer will sich freiwillig damit beschäftigen, außer denjenigen, die dort arbeiten?

Man ist nur ungern im Krankenhaus, hat zum Teil ungute Erinnerungen, das geht dann bis hin zu Tod und Sterben – darüber möchte man nicht unbedingt nachdenken und diskutieren.

Unsere Gesellschaft ist leider nicht so geprägt, dass diese Themen öffentlich angegangen werden. Wenn man mal zu Besuch im Krankenhaus ist, ist man doch froh, wieder draußen zu sein. Diese Wahrnehmung fällt uns natürlich auch auf.

Da ist das von Werner Becker initiierte Brandenburger „Bürgerbündnis für mehr Personal in der Pflege und im Krankenhaus“ Gold wert. Man kann es gar nicht hoch genug schätzen, weil es aus der Gesellschaft, von den Bürgern, kommt. Wir arbeiten in dem Bündnis mit, aber die Mehrheit sind Menschen, die nicht im Gesundheitswesen arbeiten.

Wir hatten vor ein paar Tagen den Staatsekretär für Gesundheit des Landes zu Gast bei einer Veranstaltung des Pflegebündnisses. Dieser meinte, die Landesregierung sei auf einem guten Weg mit der Finanzierung von Verbesserungen in der Pflege.

Da kann ich nur sagen: Das ist Palaver. Es reicht hinten und vorne nicht.

Weißt du, wenn ein Mensch im Krankenhaus liegt und es geht ans Sterben, wird er in ein Einzelzimmer geschoben, und dann guckt man alle ein, zwei, drei Stunden mal rein. Vielleicht ist er am Monitor angeschlossen und wenn dieser nicht piept, lebt er wohl noch.

Da kann sich niemand vom Personal die Zeit nehmen für diesen Menschen, es gibt einfach niemanden, der sich da hinsetzen kann. Häufig können die Angehörigen auch nicht dabei sein. Niemand sitzt in den letzten Lebensstunden am Bett, hält die Hand und begleitet beim Sterben. Dann kommt dieser Staatssekretär und meint, wir sind auf einem guten Weg.

Es kommt nicht darauf an, ob wir auf seinem guten Weg sind. Wir können neue Straßen bauen, wir können Unsummen in die Rüstung stecken, aber für die Pflege reicht es nicht. Da müssen wir schon die Frage stellen: Brauchen wir mehr Panzer oder eine bessere Pflege? Wir Beschäftigten in den Altenheimen und Krankenhäusern haben für solche Prioritäten kein Verständnis. Es geht uns um die Patienten, um eine wenigstens ausreichende Betreuung und um nicht krank machende Arbeitsbedingungen.

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"Das Bündnis ist Gold wert", UZ vom 22. März 2019



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