Zurück zum ­Lieblingsfeind

Wer am vergangenen Dienstag zum Frühstück „spiegel.de“ las, hätte den Eindruck gewinnen können, dass der Krieg in der Ukraine mit einem Schlag beendet ist und sich das Wochenblatt endlich wieder mal in Ruhe seinem anderen Lieblingsfeind widmen kann: der Volksrepublik China.

„Datenleak gibt einzigartigen Einblick in Chinas brutalen Unterdrückungsapparat“ oder „Wie China einen Gulag für Muslime errichtete“, in gleich sechs Artikeln geht es um die sogenannten „Xinjiang Police Files“ – pünktlich zum Chinabesuch der UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet.

Die „Xinjiang Police Files“ sollen nach „Spiegel“-Informationen Fotos und vertrauliche Behördenanweisungen und Reden chinesischer Funktionäre zu „Umerziehungslagern für Uiguren“ umfassen und damit die Unterdrückungspolitik der Volksrepublik gegen die Minderheit der Uiguren belegen. Neben dem „Spiegel“ haben der „Bayerische Rundfunk“ und „mehr als zehn internationale Medienpartner wie der ‚BBC‘ und ‚Le Monde‘“ die Unterlagen erhalten. 30 Journalisten hätten den „Wahrheitsgehalt“ der Daten überprüft, so der „Spiegel“. Stutzig werden müssen hätten sie allerdings schon bei der Quelle.

Die Medien erhielten den Datensatz, der angeblich von einem anonymen Hacker stammt, von Adrian Zenz. Der von Medien und Politik gern als „deutscher Anthropologe und Chinaexperte“ bezeichnete radikalevangelikale Zenz wird bezahlt von der antikommunistischen Stiftung „Victims of Communism Memorial Foundation“ (Stiftung zur Erinnerung an die Opfer des Kommunismus) in Washington. Schon lange kritisieren Wissenschaftler in der BRD, dass die Politik den selbsternannten Chinaexperten zu Rate zieht statt Sinologinnen und Sinologen. Und auch der Redaktion des „Spiegel“ könnte man zutrauen, dass sie einem Mann mit Skepsis begegnet, der in einem Buch die Prügelstrafe für Kinder als „liebevolle Erziehung“ bezeichnete und die Gleichstellung der Geschlechter sowie Homosexualität als ein Werk Satans. Doch wenn es gegen die Volksrepublik geht, dann macht man sich gern mit solchen Menschen gemein.

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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Zurück zum ­Lieblingsfeind", UZ vom 27. Mai 2022



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