Brokdorf – 40 Jahre danach

100.000 gegen Atomkraft

Günter Zint

„Die größte Ansammlung streitbarer Uniformierter, seit Wallenstein 1627 das Schloss Breitenburg belagerte“, beobachtete die Itzehoer Lokalzeitung „Norddeutsche Rundschau“ am Tag vor der Brokdorf-Demonstration.

Wasserwerfer, ständig über der Wilstermarsch kreisende Hubschrauber, Blaulicht plus Sirene – mit penetranter Hartnäckigkeit demonstrierte der Staat seiner Bevölkerung in Itzehoe und Wilster waffenstrotzende Gewalt.

Was war da los? In Brokdorf an der Unterelbe war seit 1975 ein Kernkraftwerk im Bau. Gegen Planung und Bau gab es seit 1976 Proteste und Demonstrationen. Nach einer Klage kam es zu einem Baustopp bis Ende 1980. Als bekannt wurde, dass der Bau fortgesetzt werden sollte, wurden größere Proteste angekündigt und der Landrat in Itzehoe erließ ein Demonstrationsverbot. Dagegen wurde geklagt und gewonnen. In Erwartung einer größeren Demonstration zog die Staatsmacht rund 10.000 Polizisten aus der ganzen Republik zusammen. Was dann geschah schildert uns der Hamburger Fotograf Günter Zint, der mit seiner Kamera dabei war.

Vor ein paar Tagen rief mich ein Kollege an und fragte nach meinen Erinnerungen an den 28. Februar 1981. Das war die größte Demo der Nachkriegszeit mit über 100.000 Atomkraftgegnern.

Als erstes kam mir eine schmerzhafte Verletzung in Erinnerung. Ich war bei der Flucht vor marodierenden Polizeieinheiten in ein Kaninchenloch getreten. Der Bänderriss hat mir etliche Arztbesuche und drei Monate Gehhilfen eingebracht.

Als zweites fiel mir Gerhard Stoltenberg (Spitzname: Schnullermund) ein, der die Demonstranten mit dem Spruch: „Die Wilster Marsch muss wieder befriedet werden“ empfing. Das gelang mit Stacheldraht, Pferdestaffeln, Wassergräben und Polizeitruppen nicht. Auch die große Anzahl der Hubschrauber war nicht erfolgreich. Leider waren auch wir nicht erfolgreich. Das Atomkraftwerk ging 1985 in Betrieb. Ende dieses Jahrs soll es stillgelegt werde. Wohin mit dem Müll und dem „heißen Kern“ weiß noch niemand. Die gleiche Situation im benachbarten AKW Brunsbüttel. Die letzte Revision des AKW Brokdorf 2020 hat einen zweistelligen Millionenbetrag gekostet. Auch die immensen Kosten der Endlagerung werden wir alle mit unseren Steuergeldern bezahlen müssen.

2007 hatte die Brokdorf-Demo noch ein kurioses Nachspiel; Eine Kollegin vom NDR Kiel rief mich an. Sie drehte einen Beitrag mit einem pensionierten Polizeibeamten. Er erwähnte, dass er als Mitglied des Dokumentartrupps (KTU) den Auftrag hatte, den Hamburger Fotograf Günter Zint zu beobachten. Man wollte beweisen, dass er kein Journalist, sondern Demonstrant ist. Das hätten sie einfacher haben können. Ich bin oft beides, wenn ich es für richtig halte. Sie hätten mich nur fragen müssen. Die NDR-Redakteurin fragte mich „Würden Sie mit dem Herrn reden?“ „Na klar“ war meine Antwort; „Ich rede mit jedem, der mir auch zuhört.“ Wenige Tage später kam ein Reportagewagen des NDR mit einem Kamerateam und dem Ex-Polizisten. Bei einer Tasse Kaffee sollten wir uns kennen lernen. Daraus wurde aber nix. Allen meinen Fragen zum Thema „Bespitzelung“ wich er aus. Er wollte mit mir nur über Filmmaterial, Kameras und Objektive reden. Da brauche ich keine Nachhilfe und ich brach das Gespräch verärgert ab. Ich bat ihn zu gehen, was er auch tat. Die Kamera folgte im auf dem Weg zum Übertragungswagen und die Redakteurin kommentierte im Abspann: „Nun haben sie sich kennen gelernt, aber Freunde sind sie nicht geworden“.

Ein anderes Erlebnis war für die Demo prägend. Auf einer Autobahnraststätte kurz hinter Hamburg traf ich auf eine Polizeieinheit, die aus dem Süden angereist kam und eine Ruhepause machte. Als neugieriger Journalist habe ich ein paar Gespräche belauscht. Es fiel mir schwer, mich da rauszuhalten. Aber der Konsequenzen bewusst, hielt ich mich zurück. Die Beamten schwafelten bei Kaffee und Kuchen, wie sie es mit den Idioten der Anti-AKW Bewegung „treiben“ würden. Den Hintergrund kenne ich heute. Die Beamten haben alle den blödsinnigen Film eines Professor Haber gezeigt bekommen; „Unser Freund, das Atom“. Eine Disney-Produktion. Wissenschaftler sehen diesen Film heute als eine „Lachnummer“. Der Film liegt im Original nicht mehr beim NDR. Er liegt in einer guten 16-mm-Kopie bei mir. Wie das kam, darf ich nicht sagen, sonst würde ein lieber Kollege vom NDR seinen Job verlieren. Ist Gottseidank auch schon verjährt.

Der Journalist Rainer Hank schrieb 2011 über den Film und seinen Entstehungskontext: „Es lohnt, den Walt-Disney-Streifen heute anzusehen, um eine Ahnung zu kriegen, wie besoffen die Nachkriegszeit vom Segen des Atoms war. Wer damals die Kernkraft ‚nur‘ als ‚Brückentechnologie‘ bezeichnet hätte, wäre von der Mehrheit der Zeitgenossen verlacht worden. Sie zur Energiegewinnung zu nutzen, war die niederste Stufe des Atomsegens: Autos, U-Boote, Flugzeuge, im Grunde das ganze Leben, sollten vom Atom angetrieben werden.

Das waren nur einige Details zu Brokdorf 1981. Die diversen Sperrungen habe ich durch meinen Presseausweis zusammen mit dem Kollegen Ortwin Löwa vom NDR überwinden können. Ortwin war der Erfinder der Telefonzellenreportage Damals gab es noch kaum Telefonübertragungen, die funktionierten. Immer wenn wir an einer Telefonzelle vorbei kamen rief Ortwin; „Halt mal kurz an.“ Aus der Telefonzelle rief er die Redaktion an; „Hier meldet sich Ortwin Löwa aus einer Telefonzelle in der Wilster Marsch.“

Günter Zint hat nicht nur die Brokdorf-Demo dokumentiert, sondern die gesamte Anti-AKW-Bewegung begleitet. Sein Buch „Gegen den Atomstaat“ hatte 30 Auflagen mit über einer Million Exemplaren und ist antiquarisch erhältlich.
Weitere Informationen über Günter Zint unter panfoto.de. Dort kann man auch Originalbilder von ihm erwerben.

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"100.000 gegen Atomkraft", UZ vom 26. Februar 2021



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