Poroschenkos Regierung steht unter Druck – Angriffe auf DVR

Aggressor Ukraine

Von Renate Koppe/Swetlana Ebert

Der ukrainische Präsident Poroschenko kam Ende Januar zum Staatsbesuch nach Berlin. Er brach seinen Besuch wegen der Lage im Donbass vorzeitig ab, wo nach seinen Worten die „russische Aggression“ wieder zunahm. Tatsächlich hatten die ukrainischen Streitkräfte und ihnen unterstellte nationalistische und faschistische Bataillone mit massiven Angriffen auf die Donezker Volksrepublik (DVR) begonnen. Ein Zufall ist das wohl kaum, sondern eine inszenierte Aktion von Seiten der ukrainischen Regierung. Diese und die hinter ihr stehenden oligarchischen Kräfte brauchen den Krieg, denn die soziale Lage in der Ukraine spitzt sich zu – Tarife für Strom, Heizung und Wasser sind um ein Mehrfaches gestiegen, während gleichzeitig Löhne und Renten stagnieren, Stipendien werden gestrichen.

Im letzten Monat gab es in der West­ukraine heftige Proteste gegen die Schließung von Krankenhäusern, ausbleibende Lohnzahlungen führten zu Unruhen und Blockaden in verschiedenen Regionen. Wegen der Schwäche der ukrainischen Linken drohen Faschisten und andere rechte Kräfte die Proteste zu nutzen. Sie gehören zu den Kriegsbefürwortern, üben aber zunehmend Kritik an Poroschenko, da sie eine andere Kapitalfraktion vertreten.

Die Regierung Poroschenko ist also in einer Zwickmühle: Ohne den Kriegszustand – das heißt auch bei einer nur teilweisen Erfüllung der Minsker Vereinbarungen – drohen Putschversuche von rechts. So sammelt beispielsweise der ehemalige Staatschef Georgiens und Ex-Gouverneur von Odessa, Michail Saakaschwili, Unterstützer für vorzeitige Parlamentswahlen mit dem Versprechen, gegen die „Ausplünderung des Landes durch Oligarchen vorgehen“ zu wollen.

Die Weiterführung eines offenen Krieges jedoch lässt sich vor der Weltöffentlichkeit immer weniger durch Hinweise auf die angebliche russische Aggression rechtfertigen, wenn in den Wohngebieten im Donbass Raketen detonieren und Zivilisten sterben.

Gleichzeitig scheinen die regierenden Kräfte der Ukraine zu fürchten, dass sie mit dem Amtsantritt von Trump fallen gelassen werden. In den letzten Tagen gab es zwar deutliche Hinweise aus der US-Administration, die auf eine Aufrechterhaltung der Sanktionen gegen Russland verweisen, die ukrainische Regierung will aber offenbar sicher gehen und den Krieg wieder verstärken. Auch vorsichtig kritische Töne aus den Reihen der EU-Unterstützerländer beängstigen Kiew anscheinend.

Zur Politik der Kiewer Regierung gehört deshalb auch die Ankündigung, dass in der Ukraine angeblich eine Volksabstimmung über einen NATO-Beitritt stattfinden soll, die lediglich symbolischen Charakter hätte. Die NATO hat mehrfach erklärt, dass ein baldiger Beitritt der Ukraine nicht realistisch ist. Poroschenko jedoch benötigt solche Symbolik – wie auch die angekündigte Visa-Freiheit für die EU –, um den Ukrainern politische Erfolge vorzugaukeln.

Derweil werden die Angriffe gegen die Zivilbevölkerung des Donbass intensiviert. Am späten Abend des 2. Februar wurde Donezk mit Mehrfachraketenwerfern beschossen. Von Seiten der DVR wird angenommen, dass das Ziel der Aktion die Unterbrechung der Verkehrsverbindung zwischen Donezk und Makejewka war – einer großen Industriestadt, die unmittelbar an Donezk grenzt. Dies ist allerdings nicht gelungen, da die entsprechende Brücke verfehlt wurde. Allein in dieser Nacht starben aufgrund ukrainischer Angriffe sechs Zivilisten, 34 wurden verletzt. Es gibt erhebliche Schäden an Wohnraum und Infrastruktur.

Seit dem 29. Januar gab es von Seiten der ukrainischen Streitkräfte zehn Versuche, die Armee der Donezker Volksrepublik zurückzudrängen und Gebiete zu besetzen, zumindest das wird von der Ukraine inzwischen nicht mehr bestritten. Diese Versuche blieben alle erfolglos, die Verluste auf ukrainischer Seite sind sehr hoch, vermutet werden mehr als 200 Tote und damit ein Vielfaches der Verluste auf der Seite der DVR.

Die Führung der DVR erklärte, dass die Streitkräfte der Volksrepublik ihre Stellungen verteidigen, dabei die Minsker Vereinbarungen einhalten und nicht zu Angriffen übergehen – auch wenn die Ukraine bisher keinen einzigen Punkt der Vereinbarungen erfüllt hat. Die ukrainische Regierung spricht von Zerstörungen auch auf von ihr kontrolliertem Gebiet, im direkt an der Front gelegenen Awdejewka. Es gibt jedoch Hinweise, dass ein Ausfall der Stromversorgung und der damit verbundene Ausfall von Heizung von den ukrainischen Behörden selbst veranlasst wurde, um die Lage zuzuspitzen.

Die Bundesregierung rückt trotz dieser Lage nicht von der Unterstützung Poroschenkos ab. Bei seinem Besuch äußerte Merkel zwar ihre Beunruhigung über die Zuspitzung der Lage im Donbass und bekräftigte die Wichtigkeit des Minsker Prozesses, äußerte jedoch keine ernsthafte Kritik gegenüber Kiew, sondern kündigte eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit an. Der neue Bundesaußenminister Gabriel sagte nach seinem Besuch in den USA, dass es eine Lockerung der Sanktionen gegen Russland nur geben könne, wenn es Fortschritte im Minsker Friedensprozess gebe.

Die OSZE zeigt nach wie vor eine sehr einseitige Haltung. Mehr als Aufrufe an beide Seiten, den Waffenstillstand einzuhalten, sind nicht zu vernehmen, auch wird der Aggressor nicht beim Namen genannt. Im Gegenteil gibt es mehr als nur vereinzelte Fälle, wo die OSZE die Stationierung ukrainischer schwerer Waffen unmittelbar an der Front in ihren Berichten erst erwähnt, nachdem sie von der Presse geradezu darauf gestoßen wurde – wie jüngst in Awdejewka, als westliche Journalisten Panzer in Wohngebieten filmten.

Die russische Regierung weist seit den Angriffen Anfang Februar sehr deutlich darauf hin, dass die Ukraine der Aggressor ist und die Minsker Vereinbarungen verletzt. Von einer offiziellen Anerkennung der Volksrepubliken, wie sie von deren Führungen sowie von der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF) und anderen linken bzw. patriotischen Kräften gefordert wird, ist allerdings immer noch nicht die Rede.

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"Aggressor Ukraine", UZ vom 10. Februar 2017



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