Alarmstufe Rot für die Welt

Klaus Wagener zur bitteren Neujahrsansprache des UN-Generalsekretärs

Der Unterschied könnte kaum größer sein. Während Angela Merkel bei ihrer Neujahrsansprache wieder die altbekannten Phrasen, Füllwörter und Worthülsen aus dem Setzbaukasten für Schlafwagenschaffner zusammenstoppelte, war António Guterres die Enttäuschung und die ernste Besorgnis anzusehen. Statt der bei der deutschen Kanzlerin üblichen Selbstbeweihräucherung am Ende eines Jahres gab der UN-Generalsekretär in seiner kurzen Botschaft unumwunden zu, nichts erreicht zu haben, ja, dass sich das Gegenteil von dem eingestellt habe, was er angestrebt hätte. Vor einem Jahr, zu Beginn seiner Amtszeit, habe er für ein Jahr des Friedens geworben. Stattdessen sei in 2017 auf fundamentale Weise das Gegenteil eingetreten (ihm ist zu attestieren: Nicht seine Schuld). Er appelliere daher nicht mehr, sondern schlage Alarm: Alarmstufe Rot für die Welt.

Konflikte hätten sich vertieft, neue Gefahren seien aufgetaucht, die globalen Ängste wegen der nuklearen Waffen seien die höchsten seit dem Kalten Krieg. Der Klimawandel sei schneller als wir. Ungleichheit wachse und wir sähen furchtbare Verletzungen der Menschenrechte. Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit wüchsen. Kein ernstzunehmender Zeitgenosse wird dieser Beschreibung widersprechen wollen. Im Gegenteil, die Liste ließ sich spielend um signifikante Herausforderungen erweitern.

In Jemen beispielsweise sind 7 Millionen Menschen akut vom Hungertod bedroht. Die größte Cholera-Epidemie der letzten Jahrzehnte, Millionen sind auf der Flucht im eigenen Land. Es ist vorsätzlicher, geplanter Massenmord. Der intime Verbündete der „Freien Welt“, der „Stabilitätsanker in der Region“ (de Maizière), Saudi-Arabien, führt, auch mit deutschen Waffen und US-amerikanischer, britischer und französischer Unterstützung, einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen das Land. Auch mit deutschen Kriegsschiffen wird das Land durch eine verbrecherische Vollblockade stranguliert.

Artikel 2,4 der UN-Charta verbietet auch schon die Androhung von Gewalt. „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“ Der Generalsekretär der UN hätte zu Jemen auch durchaus deutlichere Worte finden können. Gleiches gilt natürlich in Bezug auf Donald Trump, der ja – in der UN-Vollversammlung – die „totale Vernichtung Nordkoreas“ angedroht hatte. Oder auch in Bezug auf die Bundesregierung, die sich an den Angriffskriegen gegen die souveränen Staaten Afghanistan und Syrien beteiligt. Aber dann wäre er nicht mehr Generalsekretär, vermutlich wäre er es erst gar nicht geworden.

Als Guterres’ Vorgänger im Amt, Dag Hammarskjöld, 1961 mitten im Kalten Krieg gegen die imperialistische Aufteilung des Kongo, der wertvollsten Rohstoffbasis Afrikas, aktiv wurde und sogar vor Ort zu vermitteln versuchte, hatte er nicht mehr lange zu leben. Heute, nach mehr als 50 Jahren, gibt es kaum noch seriöse Zweifel, dass die Spur der Drahtzieher, ebenso wie auch bei der Ermordung Patrice Lumumbas, nach Langley führt. „Operation Celeste“. Alan Dulles: „Dag ist störend geworden, er sollte verschwinden.“

Aus naheliegenden Gründen vermied es Guterres, Namen zu nennen. Dennoch ist sein Alarmruf verdienstvoll. In einer Welt, in welcher der Ablenkungsklamauk regiert und in der uns die Qualitätsmedien die „MeToo“-Probleme reicher Filmstars tränenreich ans Herz legen, aber Hunderttausende dem Hungertod ausgelieferte Kinder schlicht ignorieren, ist jede Stimme wichtig, welche die ganz ordinäre imperialistische Realität zumindest benennt. Danke, António.

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"Alarmstufe Rot für die Welt", UZ vom 5. Januar 2018



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