Sonderankläger in Den Haag wirft Hashim Thaci schwere Kriegsverbrechen vor

Anklage gegen NATO-Partner im Kosovo

Mehr als 20 Jahre hat es gebraucht, bis gegen den früheren Kommandeur der kosovo-albanischen Separatistenterrorgruppe UCK, Hashim Thaci, Anklage wegen schwerer Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhoben worden ist. In der vergangenen Woche war es soweit, der Präsident des 2008 von Serbien einseitig abgespaltenen Kosovo war gerade auf dem Weg in die USA, als der Sonderankläger des Internationalen Kosovo-Tribunals in Den Haag die Vorwürfe publik machte. Nach der noch ausstehenden Bestätigung durch einen Richter kann der Haftbefehl vollstreckt werden. Neben Hashim Thaci soll auch dem früheren UCK-Geheimdienstchef und jetzigen Vorsitzenden der Demokratischen Partei Kosovos (PDK), Kadri Veseli, sowie acht weiteren hochrangigen UCK-Vertretern der Prozess gemacht werden. Sie werden beschuldigt, „strafrechtlich für beinahe 100 Morde verantwortlich“ zu sein. Ihnen werden Verbrechen in zehn Punkten zur Last gelegt, darunter Verfolgung, Folter und Mord. Hunderte Serben, Roma und Angehörige anderer ethnischer Gruppen sowie politische Gegner gehörten zu ihren Opfern. Die Verbrechen wurden unter den Augen der NATO verübt, als deren Bodentruppe die UCK während des völkerrechtlichen Krieges gegen Jugoslawien 1999 fungierte.

Die Anklageschrift war bereits am 24. April an den zuständigen Richter der 2015 etablierten „Kosovo Specialist Chamber“ (KSC) ergangen. Sie wurde jetzt publik gemacht, weil Thaci und Veseli versuchten, die Ermittlungen „zu behindern und zu unterlaufen“, wie es seitens des Sonderanklägers heißt. Neu sind die Vorwürfe gegen die UCK-Spitze nicht. Die ehemalige Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien, Carla del Ponte, zitierte in ihren 2008 erschienenen Memoiren „Die Jagd. Ich und die Kriegsverbrecher“ Zeugen für mutmaßliche Organentnahmen bei 300 serbischen Gefangenen, die aus dem Kosovo in den Norden Albaniens verschleppt worden waren. Die Enthüllungen der Schweizer Diplomatin führten zu einer Untersuchung durch den Europarat, dessen Sonderermittler Dick Marty anhand von Ermittlungsergebnissen der US-Bundespolizei FBI und mehrerer Geheimdienste die Verwicklung Thacis in die Verbrechen bekräftigte. Der zum Politiker mutierte einstige UCK-Chef war demnach Ende der 1990er-Jahre Boss einer Mafia-Organisation und in Organhandel, Auftragsmorde und andere Verbrechen verwickelt. Der deutsche Auslandsgeheimdienst BND hatte bereits im Februar 2005 in einem vertraulichen Bericht, der am 26. Oktober 2005 in der Schweizer „Weltwoche“ veröffentlicht wurde, unter anderem Thaci als eine der Schlüsselfiguren bezeichnet, die im Kosovo als Verbindungsglieder von „organisierter Kriminalität“ und Politik funktionierten. Zur Anklage ist es dennoch nicht gekommen, Thaci und Co. wurden stattdessen auf internationalem Parkett hofiert, nicht zuletzt auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie den früheren Außenministern Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel oder in den USA vom damaligen Präsidenten William Clinton, seiner Frau und Außenministerin Hillary Clinton und der früheren Chefin des State Departement, Madeleine Albright.

Thaci selbst gab sich nach Bekanntwerden der Anklagen selbstbewusst und dreist. Statt von seinem Amt als Präsident umgehend zurückzutreten, stellte er auf seiner Facebook-Seite das Logo der UCK ein, versehen mit dem Spruch: „Niemand kann die Geschichte des Kosovo neu schreiben!“ Der mitangeklagte PDK-Vorsitzende Veseli wies gegenüber der Presse im gleichen Tenor die Vorwürfe zurück. „Serbien hat Verbrechen im Kosovo begangen. Deswegen wurden mehrere Vertreter Serbiens vom Haager Tribunal für Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien schuldig gesprochen.“ Er selbst sei bereit und „privilegiert“, noch einmal „den Kosovo, seine Freiheit und Unabhängigkeit zu verteidigen“, so Veseli. „Der Befreiungskrieg der UCK war heilig, das war ein Krieg für die Freiheit und Unabhängigkeit des Kosovo.“

Durch die Vorläufige Anklage in Den Haag sind nun erst einmal Gespräche zwischen Spitzenvertretern Serbiens und des Kosovo in Washington geplatzt, die vom US-Diplomaten Richard Grenell als Wahlkampfhilfe für Präsident Donald Trump eingefädelt worden waren. Die „Neue Zürcher Zeitung“ kommentierte die neuen Kriegsverbrecheranklagen treffend: „Thaci war in Kosovo so wichtig, weil er immer auch ‚der Mann der Amerikaner‘ war. Washington hat gerade in diesen Tagen noch einmal voll auf ihn gesetzt, um einen (unwahrscheinlichen) Durchbruch in den serbisch-kosovarischen Verhandlungen zu erreichen. Die Anklage des Sondergerichts hat dies vereitelt. (…) Noch 2017 versuchte Thaci, das Gericht in einer Nacht-und-Nebel-Aktion im letzten Moment zu verhindern, was ihm auch fast gelungen wäre. Seither lässt er nichts unversucht, um das Gericht zu diskreditieren. Die Richter sprechen zudem von einer ‚geheimen Kampagne‘. Ob dazu auch die Einschüchterung und die Bedrohung von Zeugen gehören, führen sie nicht aus. Thacis Kampf gegen die Justiz erklärt wahrscheinlich den absichtsvoll gewählten Zeitpunkt der Bekanntgabe der Anklage. Indem die Richter seine Reise nach Washington torpedierten, verhinderten sie, dass Thaci sich dort Straffreiheit einhandeln konnte.“ Der österreichische „Standard“ ergänzte: „Der ehemalige UÇK-Kommandant hält sein Land wegen seiner Kriegsvergangenheit seit langem in Geiselhaft. Um nicht vor Gericht zu kommen, ist er sogar bereit, den Nordkosovo – ein verfassungswidriger Schritt – an Serbien abzugeben und damit die Idee eines multinationalen Staates aufzugeben. Thaci hat die Kosovaren schon lange verraten.“

„Die Linke“ im Bundestag begrüßte die Anklagen des Kosovo-Sondergerichts. „Die juristische Aufarbeitung der von der ‚Kosovo-Befreiungsarmee‘ zu verantwortenden Morde und Folter an Serben und Roma unter den Augen der NATO-geführten KFOR-Truppen ist lange überfällig“, erklärte deren Obfrau im Auswärtigen Ausschuss, Sevim Dagdelen. „Die Bundesregierung sollte die Anklage gegen Hashim Thaci zum Anlass nehmen, ihre einseitige Parteinahme zugunsten ehemaliger UCK-Kommandeure auf dem Balkan zu beenden und sich für einen Schutz der Roma und der Serben im Kosovo wie auch für eine Rückkehr der 200.000 vertriebenen Serben und Roma in das Kosovo einsetzen.“ Die Linke-Abgeordnete erinnerte aber auch daran: „Auf die Anklagebank in Den Haag gehören nicht nur die Mörderbanden der kosovo-albanischen UCK, die als Bodentruppen der NATO fungiert haben, sondern auch die Verantwortlichen für die Aggression in den NATO-Staaten selbst, darunter der frühere US-Präsident Bill Clinton, der damalige britische Premier Tony Blair und Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder. Der von der NATO zu verantwortende Völkerrechtsbruch und die Rückendeckung für die UCK-Verbrecher durch die KFOR-Besatzungstruppen dürfen nicht länger ungesühnt bleiben.“ Abzuwarten bleibt nun, ob die Anklageerhebung vom Gericht bestätigt und die vom Westen all die Jahre protegierten UCK-Verbrecher tatsächlich in Haft genommen und auch verurteilt werden. Es wäre eine späte Gerechtigkeit für Serbien.

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"Anklage gegen NATO-Partner im Kosovo", UZ vom 3. Juli 2020



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