Zur Auseinandersetzung um das Kunstwerk von Taring Padi

Antisemitismus-Skandal auf der documenta 15?

In den vergangenen Tagen gab es nur ein Thema in den deutschen Feuilletons: „Antisemitismus auf der documenta“ in Kassel. Immer wieder wurde berichtet, dass auf dieser Weltkunstausstellung antisemitische Kunstwerke gezeigt werden. Bundeskanzler Scholz kündigte an, diesmal nicht die Ausstellung zu besuchen, Staatsministerin Roth wurde zum Rücktritt aufgefordert. Die documenta fifteen scheint der Inbegriff des Antisemitismus zu sein.
Dieses Thema hat mehrere Ebenen, die man durchaus unterschiedlich betrachten muss. Erstens der Antisemitismusvorwurf gegen die documenta, zweitens konkrete Kritik an einem Exponat und drittens der Umgang mit dem Konflikt. In der aktuellen medialen Aufregung wird vergessen, dass –bevor das kritisierte Werk überhaupt zu sehen war und ohne zu wissen, dass es gezeigt würde – eine mediale Antisemitismuskampagne gegen das indonesische Kuratorenteam Ruangrupa gefahren wurde, die mit pauschalen Vorwürfen insbesondere die Beteiligung von Künstlerinnen und Künstlern aus Gaza und die gesellschaftliche Haltung der Kuratoren zu diskreditieren versuchte. Konkrete Vorwürfe waren den Beteiligten nicht zu machen, aber die Unterzeichnung von Erklärungen gegen die Diskriminierung der BDS-Bewegung reichte aus, um Kuratoren und Künstlerteams zu denunzieren. Ihren Höhepunkt fand diese Kampagne in der Eröffnungsrede von Bundespräsident Steinmeier. Er beschäftigte sich zur Eröffnung der Weltkunstausstellung weniger mit den Chancen für die Kunstrezeption, die sich aus dem Perspektivwechsel zum globalen Süden und der Einbindung von Künstlerkollektiven ergeben, sondern rückte stattdessen das Thema der „roten Linie der Israel-Kritik“ in den Mittelpunkt.

Der „Aufschrei des (medialen) Entsetzens“ ergab sich interessanterweise nicht bei einer Serie von Gemälden „Guernica Gaza“ des palästinensischen Künstlerkollektivs, sondern beim Banner des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi mit dem Titel „People’s Justice“. Es handelt sich um ein etwa 100 Quadratmeter großes politisches „Wimmelbild“, das vor gut 20 Jahren entstanden ist. Das Großbanner hat zwei Seiten; auf der linken werden die herrschende Weltordnung und deren Unterdrückungsorgane dargestellt, auf der rechten der Widerstand der unterdrückten Völker. Geschätzt sind auf dem recht plakativ gestalteten Banner über 100 Figuren, wobei die Figuren auf der linken Seite samt und sonders als überspitzte Karikaturen angelegt sind, während jene auf der rechten menschliche Züge tragen und an lateinamerikanische Wandmalereien erinnern.

An zwei Figuren der linken Seite entzündete sich nach der Eröffnung die Debatte um „antisemitische Bildersprache“. Kritisiert wird eine Figur mit Schweinsgesicht und einem Helm, auf dem das Wort „Mossad“ zu lesen ist. Würde sie alleine stehen, könnte das tatsächlich als Schmähkritik aufgefasst werden. Sie ist aber Teil einer analog gezeichneten ungefähr zwölf Figuren umfassenden Gruppe, die eindeutig als ausführende Unterdrückungs­organe von Staaten zu erkennen sind. Niemand kritisierte, dass auf anderen Helmen die Kürzel „007“ (für den britischen Geheimdienst), „KGB“ (für den russischen Geheimdienst) und „CIA“ (für den US-amerikanischen Geheimdienst) zu lesen sind. Die Aufschrift „Mossad“ für den israelischen Geheimdienst gilt aber als „antisemitische Bildersprache“. Problematischer ist ganz sicher die Karikatur einer Figur in der Ausbeutergruppe, bei der ein Hut, der auch noch mit SS-Runen verziert ist, als jüdische Kopfbedeckung interpretiert werden kann. Angedeutete Striche wurden als „Schläfenlocken“ verstanden und damit diese Figur als Schmähbild des „raffgierigen jüdischen Kapitalisten“ kritisiert. Sie bediene – auch als Karikatur – mit ihrer Symbolik antisemitische Stereotype.

Taring Padi reagierte auf diese Kritik, indem das Kollektiv einerseits die Symbolik verschiedener Karikierungen im indonesischen Kontext erklärte und sich gleichzeitig dafür entschuldigte, falls sich jemand von diesen Zeichnungen persönlich angegriffen fühlte. Sie verwiesen darauf, dass dieses Banner mehrfach unter anderem in Australien und anderen Ländern der südlichen Hemisphäre gezeigt worden sei, ohne solche Reaktionen auszulösen. Und sie boten Gespräche zu diesen Fragen an. Die documenta-Leitung entschied jedoch, das Banner – gegen den Willen des Künstlerkollektivs – abzuhängen. Gespräche fanden nicht statt.

Diese Reaktion verweist darauf, dass es offenbar keine allgemeine Debatte um „Antisemitismus“ ist, sondern vor allem eine deutsche Debatte, wie Moshe Zuckermann in einem sehr reflektierten Interview im Online-Magazin „overtone-magazin.de“ betonte. Er fragte sich: „Was ist es denn an diesem Antisemitismus, der ja in diesem Bild nicht so eklatant ist, dass er die Deutschen immer so in Aufwallung bringt? Also warum wird nicht allgemein über Rassismus geredet, über Islamophobie, über Antiziganismus, über allgemeine Xenophobie? Warum wird nicht auch über die anderen, auch ethnisch Unterprivilegierten und Verfolgten gesprochen? Warum wird das nicht diskutiert?

Warum wird an dem Bild auch nicht diskutiert, was es eigentlich aussagen will, dass eine Welt dem Kolonialismus und Imperialismus ausgesetzt war? Ob das nun gut oder schlecht dargestellt ist, warum muss das gleich auf diesen einen Punkt des Antisemitismus fokussiert werden, statt sich zu fragen, was diese Leute damit aussagen wollen? Die Tatsache, dass man sie überhaupt eingeladen hat, ist eigentlich ein fortschrittliches Moment. Dass sie damit umgegangen sind, wie sie umgegangen sind, ist keine Frage, die für mich in irgendeiner Weise die Zensur, die dann sofort eingesetzt hat, rechtfertigt.“

Diese Fragen zu stellen, heißt auch eine Antwort zu geben. Dem ist nichts hinzuzufügen.

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"Antisemitismus-Skandal auf der documenta 15?", UZ vom 1. Juli 2022



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