Außenministerin stimmt Bevölkerung auf deutsche Großmachtpolitik ein. Friedensbewegung muss jetzt gegenhalten

Baerbocks tiefe Sehnsucht nach der Macht

Außenministerin Annalena Baerbock sinnierte am vergangenen Freitag über eine Sehnsucht, die ihre Generation vielleicht noch nie so richtig gespürt habe, eine „zutiefst menschliche Sehnsucht nach Sicherheit“. Nach der Gefühlsduselei kam sie in ihrer Rede zur „Entwicklung einer nationalen Sicherheitsstrategie“ schnell zur Sache, um die gesamte Gesellschaft auf die Rolle Deutschlands in der Welt einzuschwören. Entscheidend sei die Wehrhaftigkeit, „die Fähigkeit als auch der Wille, sich zu verteidigen“. Die Sehnsucht der herrschenden Klasse Deutschlands nach globaler Macht war lange nicht mehr so offenkundig wie jetzt.

Baerbock freute sich über die beschlossene Beschaffung der F-35-Bomber, die auf den Einsatz von Atomwaffen ausgelegt sind, das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, das im Grundgesetz verankert werden muss, um die Schuldenbremse zu umgehen, und den geplanten Ausbau der „Cyber-Abwehrfähigkeit“. Für eine „kohärente Außenpolitik“ müssten jetzt alle Instrumente auf die Höhe der Zeit gebracht werden – militärisch, politisch, analog, digital, technologisch.

Mit einem hat Baerbock recht: „Nicht alles ist plötzlich neu und anders.“ Die Aufrüstungspläne, die jetzt durchgesetzt werden, gibt es schon lange. Schon 2014 hielten die Kriegstreiber bei der sogenannten Sicherheitskonferenz im „Münchner Konsens“ fest, Deutschland müsse „mehr Verantwortung“ in der Welt übernehmen. Die strategischen Linien konnte man zwei Jahre später im „Weißbuch der Bundeswehr“ nachlesen; demnach geht es um Energiesicherheit, Rohstoffe und sichere Handelswege. Im gleichen Jahr forderte die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) 130 Milliarden für die Bundeswehr – ein Betrag, der dem jetzt beschlossenen Etat erstaunlich nahekommt. 2020 schließlich forderte Wolfgang Ischinger, damaliger Leiter der „Münchener Sicherheitskonferenz“, im Papier „Wendezeiten – Zeitenwende“ exakt das, was Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) jetzt eingeläutet hat.

Für diese Zeitenwende müssen jetzt alle einstehen, in „Unternehmen, Kommunen und Universitäten“. Wie die Bevölkerung an Baerbocks „partizipativem Prozess“ für das deutsche Großmachtstreben teilhaben kann, sieht man auf den Internetseiten auch vermeintlich seriöser Zeitungen wie der „Süddeutschen“. Sie quellen über von Spartipps angesichts steigender Energie- und Lebensmittelpreise. Heizen und Essen ist Sache jedes Einzelnen, der Verzicht ein Beitrag zur nationalen Sicherheit.

Während sich das „Zeitenwende“-Papier 2020 noch damit auseinandersetzen musste, wie man die antimilitaristisch eingestellte Bevölkerung mitnehmen könnte, herrscht inzwischen eine Stimmung, die es den Herrschenden ermöglicht, sogar Teile der Friedensbewegung für ihre Aufrüstungspläne zu instrumentalisieren. Neben dem Grünen-Klassiker, aus dem deutschen Faschismus die Pflicht zur Kriegstreiberei herzuleiten, vereinnahmte die Außenministerin die bundesweiten Demonstrationen anlässlich des Kriegs in der Ukraine: „Überall in der Republik gehen Menschen auf die Straße, sie demonstrieren für Frieden und Freiheit und Sicherheit.“

Für Aufrüstung und deutsche Großmachtpolitik aber darf sich keine Friedensbewegung ins Werk setzen lassen. Nachdem Scholz in einer Rede alle zentralen Forderungen der Friedensbewegung vom Tisch gefegt hat, insbesondere die Ablehnung des 2-Prozent-Ziels der NATO, treiben Baerbock und Konsorten die umfassende Militarisierung der Gesellschaft voran. Jetzt braucht es eine Friedensbewegung, die sich diesem Wahnsinn entgegenstellt. Die Forderung „Abrüsten statt Aufrüsten“ ist aktueller denn je, ebenso wie der Verweis, dass jeder Cent für die Bundeswehr einer ist, der bei Schulen, Krankenhäusern und sozialem Wohnungsbau fehlt.

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"Baerbocks tiefe Sehnsucht nach der Macht", UZ vom 25. März 2022



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