Zu den möglichen ökonomischen Konsequenzen der Corona-Epidemie

Das Virus und die Krise

Kursverluste wohin man schaut. Am Montag stürzte der Dow-Jones binnen Stunden um rund 2.000 Punkte ab. Innerhalb von 14 Tagen verlor der Index fast 20 Prozent. Der Dax verlor im selben Zeitraum 24,5 Prozent. Die Spekulanten agieren im Panik-Modus. Der Handel an der New Yorker Börse musste zeitweise ausgesetzt werden. Innerhalb von zwei Wochen gingen weltweit rund 8 Billionen Dollar an (fiktiven) Börsenwerten verloren. Auch der Ölpreis fiel ins Bodenlose. Am 8. Januar 2020 stand der Preis für den Barrel noch bei 71,75 Dollar. Am Montag hatte er sich auf 35,18 Dollar halbiert. Die Krise 2007 meldet sich zurück.

Nun hält sich das Mitleid mit den Zockern in Grenzen. Es geht auch hier, wie immer im Kapitalismus, um den Maximalprofit der Rentiers und Couponschneider zu Lasten der arbeitenden Menschen. Im Neoliberalismus mit dem netten Begriff „Shareholder Value“ umschrieben. Ihn zu steigern, ist das Ziel allen gesellschaftlichen und staatlichen Handelns sowie die heilige Pflicht jedes Christenmenschen. Und es ist selbstredend der letzte Daseinsgrund freier autonomer Zentralbanken.

Letztere hatten sich in der vergangenen Dekade nicht lumpen lassen. Weltweit wurden nach Beginn der Krise 2007 die Gelddruckmaschinen angeworfen. Die Aktienkurse schossen durch die Decke und landeten nach der längsten Börsenrallye in der Geschichte dort, wo sie Mitte Februar 2020 standen. Allerdings war die Substanz dieser Rallye nicht mehr als heiße Luft. Geldproduktion durch den Mausklick.

Natürlich platzt irgendwann jede Blase, wenn die Differenz zwischen den realwirtschaftlichen Begrenzungen und dem spekulativen Überschwang zu groß geworden ist. Aber aktuell gibt es dazu eine Wechselbeziehung mit dem Ausbruch des Coronavirus und den folgenden Quarantänemaßnahmen. Ist das Virus also die Nadel, welche die größte Finanzblase aller Zeiten ansticht?

Covid-19 hat laut Situationsbericht der Weltgesundheitsorganisation bis Dienstagmorgen dieser Woche 109.578 Menschen infiziert, 80.904 in China, 28.674 außerhalb Chinas. 104 Länder sind betroffen, 3.809 Menschen sind gestorben. Da auch in hochindustrialisierten Staaten wie der Bundesrepublik kaum eindämmende Maßnahmen ergriffen werden, breitet sich das Virus nun weltweit mit exponentieller Beschleunigung aus. Die neoliberale Offensive hat die auf Profit getrimmten Gesundheitssysteme so weit ruiniert, dass entsprechende Reserven, wie sie zur Epidemiebekämpfung erforderlich sind, in den schon im Alltagsbetrieb überlasteten Einrichtungen schlicht nicht zur Verfügung stehen.

Dagegen hatte die chinesische Regierung mit entschlossenen Maßnahmen reagiert. Das hat die Verbreitung des Virus zwar nicht gestoppt, aber massiv eingedämmt. Aber unter Inkaufnahme drastischer ökonomischer Folgen. China ist die weltweit größte Exportnation. Der exportierte Warenwert lag 2019 bei 2,5 Billionen Dollar. Über 9 Millionen Unternehmen in aller Welt sind von Lieferungen aus China abhängig. Diese gigantischste Werkstatt der Welt wurde weitgehend stillgelegt. Die globalen Just-in-Time-Produktionsketten sind an ihrem kritischsten Punkt unterbrochen. Die chinesischen Exporte in die USA sind in Januar und Februar 2020 um 28 Prozent eingebrochen. China hat eine monopolartige Position bei wichtigen Marktsegmenten wie pharmazeutischen Produkten, IT-Produkten, Stahl, Kfz-Vorprodukten, Flugzeugkomponenten, Solartechnik und Textilien, um nur einiges zu nennen. Der Ausfall Chinas wird zu massiven Ausfällen und deutlichen Stillständen in der globalen Produktion führen. Die volle Wirkung dürfte sich erst noch entfalten, wenn Corona weltweit zur vollen Ausbildung gekommen ist und es wird die rezessive Wirkung des US-Wirtschafts- und -Technologiekriegs noch deutlich übertreffen.

China fällt nicht nur als größter Exporteur, sondern dazu auch als ein in vielen Sektoren weltgrößter Konsument zumindest zeitweilig weitgehend aus. Die Nullzinspolitik des letzten Jahrzehnts hat die globale Gesamtverschuldung durch die Decke schießen lassen. Vor wenigen Wochen wurde ein neues Allzeithoch mit 253 Billionen Dollar (Staats-, Unternehmens- und Privatkredite) markiert. Alles in allem eine kritische Lage für Millionen Unternehmen weltweit. Wie weit die Panikstimmung schon verbreitet ist, zeigt auch die Verteilung von Geld in Hongkong. Jeder Bürger bekommt dort 10.000 Hongkong-Dollar (1.300 US-Dollar), damit er den Konsum ankurbeln kann.

Die OECD hält eine Halbierung des globalen Wirtschaftswachstums für möglich. Das darf als optimistisch angesehen werden. Weitergehende Analysen, die eine globale Rezession, ja einen Zusammenbruch wie 1929 für wahrscheinlich halten, erscheinen vor allem dann realistisch, wenn die realwirtschaftlichen Probleme einen Zusammenbruch der globalen Finanzblase auslösen. Nicht nur ist die Abhängigkeit der Realwirtschaft von globalen Entwicklungen dramatisch höher als 2007, sondern es ist auch die Fallhöhe extrem angestiegen. Dazu kommt, dass die Staatsverschuldung bis zur Tragfähigkeitsgrenze ausgereizt ist. Die Gelddruckmaschinen laufen zwar schon auf vollen Touren. Aber frisches Geld nutzt wenig, wenn es keine Produktion und nichts zu kaufen gibt. Ein Novum nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Zutaten für einen großen Crash liegen bereit.

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"Das Virus und die Krise", UZ vom 13. März 2020



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