Die rechte Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus macht Druck

Der Senat und der Fall Amri

Von Nina Hager

Mitte November 2016 einigten sich SPD, Linkspartei und Grüne in Berlin auf einen Koalitionsvertrag. Seit Mitte Dezember ist der neue Senat im Amt. Am 19. Dezember wurden bei einem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche 11 Menschen getötet, 55 verletzt. Zuvor hatte der Attentäter Anis Amri den Fahrer des polnischen LKW, den er überfallen und gestohlen hatte, getötet. Damals schien es, dass die Berliner Polizei prompt und sehr umsichtig handelte, auch wenn ein zunächst Festgenommener mit dem Anschlag gar nichts zu tun hatte.

Doch Monate später muss sich ein Untersuchungsausschuss mit den damaligen Vorkommnissen beschäftigen. Angeblich wurden im Berliner Landeskriminalamt Akten zum Fall Amri manipuliert, ja teilweise gelöscht. Dabei wurde offenbar nicht nur ein Eintrag von Anfang November 2016 über Amri gelöscht, der auf einen „gewerbsmäßigen, bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln“ hinwies. Eine Inhaftierung wäre nötig gewesen. In einem neu eingefügten Dokument war dann plötzlich nur noch von „Kleinhandel“ die Rede. Mit dem ursprünglichen Eintrag wurden wohl auch Namen aus Amris Umfeld gelöscht. Offenbar wollte jemand im LKA eigene Fehler vertuschen. Die Aktenmanipulation wurde – nachdem der Verdacht sich verdichtete – durch den vom Berliner Senat eingesetzten Sonderermittler und früheren Bundesanwalt Bruno Jost aufgedeckt, der im April seine Arbeit aufnahm. Einen Tag, nachdem Jost seine Ergebnisse bekannt gab, stellte der Innensenator Andreas Geisel (SPD) Strafantrag wegen Strafvereitlung im Amt gegen das LKA.

In der vergangenen Woche erklärten die Berliner Regierungsfraktionen SPD, Linkspartei und Grüne nach einigem hin und her, dass sie einen Untersuchungsausschuss zu möglichen Behördenfehlern im Fall Amri zusammen mit der Opposition auf den Weg bringen wollen. Der Ausschuss solle möglichst noch vor der parlamentarischen Sommerpause eingesetzt werden. Zuvor aber soll Jost am 3. Juli seinen Zwischenbericht vorlegen.

Während Berliner Boulevardblätter wie die „BZ“ behaupten, die Innenverwaltung habe schon seit Monaten von der Aktion im LKA gewusst, streitet das Geisel ab. Der FDP-Innenpolitiker Marcel Luthe, dessen Fraktion bereits im Januar die Einsetzung eines parlamentarischen Gremiums gefordert hatte, drängte zur Eile. Er meinte, Rot-Rot-Grün habe Angst vor unangenehmen Ergebnissen. Er tat dabei so, als wäre seine Partei die „Hüterin der Wahrheit“. Doch im November 2016 war der neue Senat noch gar nicht im Amt und man könnte der Landesregierung jetzt in dieser Frage höchstens vorwerfen im Zusammenhang mit den Manipulationen im LKA zu spät und inkonsequent gehandelt zu haben. Ob man ihr aber vorwerfen kann, alles – nachträglich – vertuscht zu haben?

Offensichtlich soll Druck auf die Koalition ausgeübt werden. Und den werden CDU, FDP und AfD, die „Oppositionsparteien“ im Berliner Abgeordnetenhaus sicher noch verstärken, nachdem die Pläne des Senats für die „innere Sicherheit“ bekannt wurden: Die Koalition will – nach dem, was bislang bekannt wurde – nicht auf mehr Überwachung setzen, sondern vor allem vorbeugen, Einsatzkräfte stärken und im Ernstfall Opfer sowie ihre Angehörigen besser betreuen. Einen entsprechenden parlamentarischen Antrag wollen die Abgeordnetenhausfraktionen der Koalition noch im Juni ins Parlament einbringen. Gewiss wird das, wenn das so stimmt, auf den entschiedenen Widerstand vor allem von CDU und AfD treffen. Nicht nur, weil diese ein repressiveres Sicherheitskonzept durchsetzen wollen, sondern vor allem, weil das ein Punkt ist, an dem der Senat im Zusammenhang mit der Affäre Amri jetzt angreifbar ist.

Dabei könnte man viel Kritik am neuen Senat äußern: Was ist zum Beispiel mit dem Versprechen für „mehr Transparenz“ in der Politik und mehr „Bürgerbeteiligung“? Und was mit den Versprechen der Linkspartei eine sozialere Politik, eine „gerechtere Stadt“ zu verwirklichen?

Da ist sicher einiges in den letzten Monaten durchaus „in Bewegung“ geraten. Der Ausstieg aus der Kohleverbrennung zur Energiegewinnung geht seinen Gang. Ende Mai wurde das größte Berliner Kraftwerk in Rummelsburg auf Erdgas umgestellt. Die Planung für mehr Fahrradwege in der Stadt und Tempo-30-Zonen wird vorangetrieben. Die Sanierung von Schulen kommt in Fahrt. Insgesamt fließen in diesem Jahr 320 Millionen Euro in die dringenden Reparaturmaßnahmen. Der Bau neuer ist jedoch dringend nötig. Anfang April stellte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen gemeinsam mit den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften die Kooperationsvereinbarung „Leistbare Mieten, Wohnungsneubau und soziale Wohnraumversorgung“ vor. Ziel der Vereinbarung ist es, „… die Mieten im Bestand bezahlbar zu halten und zusätzlichen Wohnraum zu schaffen.“ Nur: Nach wie vor steigen in Berlin die Mieten – auch in sozialen Brennpunkten. Es entstehen zu wenige Wohnungen im sozialen Wohnungsbau. Mittlerweile werden Geringverdiener selbst aus den Großsiedlungen am Stadtrand verdrängt. Und die Senatsverwaltung genehmigt – gegen das Votum des Bezirks und den Widerstand der Anwohner –, wie in der Rigaer Straße 71–73 („Carré Sama Riga“), nach wie vor den Neubau von Eigentumswohnungen, die das jeweilige Gebiet „aufwerten“. Letzteres fürchten derzeit z. B. auch viele Anwohner der Michelangelo­straße im Prenzlauer Berg und in Weißensee, die von „städtebaulicher Verdichtung“ bedroht sind.

Auch deshalb sind die Umfragewerte für den Berliner Senat nicht gut, allerdings nun auch nicht schlechter als die der Vorgängerregierung aus SPD und CDU (2011–2016). Besonders unzufrieden sind laut aktueller Umfragen offenbar Anhänger der Partei „Die Linke“. Sie erwarten von ihren Vertretern – auch nach den negativen Erfahrungen der Jahre 2001 bis 2011, als man schon mal in einer Berliner Regierung vertreten war, – ganz offensichtlich weitaus mehr.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Der Senat und der Fall Amri", UZ vom 2. Juni 2017



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