Vor 375 Jahren starb der von der Inquisition verurteilte Galileo Galilei

Die Emanzipation der Naturforschung

Von Gerhard Feldbauer

Statue von Galileo Galilei (1564–1642); an den Uffizien, Florenz.

Statue von Galileo Galilei (1564–1642); an den Uffizien, Florenz.

( JoJan / Lizenz: CC BY-SA 3.0)

Nach Giordano Bruno, der am 17. Februar 1600 in Rom auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, gehört Galileo Galilei zu den prominentesten Opfern der Verfolgung durch die Inquisition der Katholischen Kirche. Dem Feuertod entging der fast 70-jährige Galilei nur, weil er seine bahnbrechenden wissenschaftlichen Erkenntnisse nach ersten Torturen und der Androhung noch furchtbarerer Folter widerrief. Am 22. Juni 1633 wurde er dennoch zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt. Danach in Hausarrest umgewandelt, musste er die Strafe, obwohl seit 1637 völlig erblindet, bis zu seinem Tod am 8. Januar 1642 verbüßen.

Zeiten der Restauration

Als Galilei am 15. Februar 1564 in Pisa geboren wurde, waren Renaissance-Humanismus, frühbürgerliche Revolution und Reformation schon Geschichte. Klerus und reaktionärer Feudaladel hatten die Gegenreformation forciert, der Spanier Ignatius von Loyola dafür mit dem Jesuitenorden eine Kampftruppe gebildet. Nach den Niederlagen Thomas Münzers 1525 bei Mühlhausen in Thüringen, der Schweizer Reformation 1531 in der Schlacht bei Kappel (Tod Huldrych Zwinglis) wurde 1546 der Schmalkaldener Bund besiegt. 1542 hatte Paul III. zur „Reinhaltung der Glaubens- und Sittenlehre“ mit der Bulle „Licet ab initio“ (Von Anbeginn an) als Oberste Instanz aller Glaubenstribunale die Kongregation für römische und weltweite Inquisition, kurz Sanctum Officium genannt, geschaffen. Die Inquisition brachte in den kommenden Jahrhunderten etwa drei Millionen Menschen um, unzählige davon auf dem Scheiterhaufen.

Wie Giordano Bruno lebte auch Galileo Galilei in Zeiten der reaktionären Restauration. Trotz des Vormarschs der Gegenreformation setzte er aber das auf Erkenntnis und Wahrheit, die Freiheit, Würde und Selbstständigkeit des Menschen gerichtete Renaissancedenken fort und fügte ihm neue bahnbrechende Erkenntnisse hinzu.

Die Entdeckung des Fallgesetzes

Schon während seines Studiums, zunächst der Medizin und Philosophie, dann der Mathematik, erkannte er die Unabhängigkeit der Frequenz der Pendelschwingungen von der Auslenkung des Pendels. Mit 26 Jahren Professor der Mathematik, entdeckte er die hy­drostatische Waage, studierte die Gesetze des freien Falls und formulierte später (1609) auch das Fallgesetz als erstes modernes Naturgesetz.

1592 fand er die Proportionalwinkel und stellte ein Thermoskop her. 1610 konstruierte er ein Fernrohr, das eine 33-fache Vergrößerung erreichte. Die Linsen dazu schliff er selbst. Mit dem Fernrohr beobachtete Galilei als einer der ersten Menschen den Himmel. Das war eine Revolution in der Astronomie, denn Himmelsbeobachtung erfolgte bis dahin nur mit bloßem Auge. Noch im selben Jahr entdeckte Galilei die vier größten Jupitermonde. Er erkannte, dass die Milchstraße keine neblige Erscheinung ist (was man bis dahin mit bloßem Auge so wahrgenommen hatte), sondern aus einer Vielzahl einzelner Sterne besteht. Vor allem diese Entdeckung war eine Sensation und rückte Galilei in den Blickpunkt der wissenschaftlichen Öffentlichkeit. Später erfasste er den Phasenwinkel der Venus, die Sonnenflecken und die Mondkrater. Er beobachtete die Erscheinung der Saturnringe, erkannte aber nicht, dass es sich um Ringe handelt. Galilei gelang, das spezifische Gewicht der Luft als ein 660stel des Gewichts des Wassers festzustellen (bis dahin galt, dass Luft kein Gewicht hat). Seine herausragenden Forschungsergebnisse wurden mit der Aufnahme in die Accademia dei Lincei gewürdigt, der zu dieser Zeit nur sechs Gelehrte angehörten.

Verteidiger des Kopernikus

Mit der Entdeckung der Jupitermonde konnte erstmals beobachtet werden, dass es Himmelskörper gibt, die sich nicht um die Erde drehen. Mit seinen Forschungsergebnissen widerlegte Galileo das ptolemäische Weltsystem der Katholischen Kirche, nach dem die Erde der Mittelpunkt des Kosmos sei. Viele seiner Schriften publizierte er nicht wie üblich in Latein, sondern in breiteren Leserkreisen verständlichem Italienisch, was eine unerbittliche Verfolgung der Inquisition zu Folge hatte. Das umso mehr, als er ein glühender Verteidiger des von seinem Zeitgenossen Nikolaus Kopernikus (1473–1543) entwickelten heliozentrischen Weltsystems war, mit dem „die Emanzipation der Naturforschung von der Theologie“ eingeleitet wurde (Friedrich Engels). Galilei bestätigte die Erkenntnisse des Kopernikus und ergänzte sie mit seinen Erkenntnissen.

Nachdem die Kopernikanische Lehre 1616 durch ein Inquisitionsurteil verbannt wurde, verteidigte Galilei dieses System mit seinen „Dialogen“. Er hielt die Bewegung der Erde um die Sonne für wahr und schrieb, nur „stumpfsinnige Mondkälber“ könnten daran zweifeln. Auch ohne Namensnennung attackierte er so Papst Urban VIII. persönlich.

Nach diesen Angriffen auf die bornierte theologische Sicht wurde er verhaftet, in Rom von einem Inquisitions­tribunal verhört und gefoltert. Nach Androhung schärfster Torturen schwor er 1633 seiner Lehre ab. Er wurde dennoch zu einer lebenslangen Kerkerstrafe verurteilt und ihm jegliche Lehrtätigkeit verboten. Seine Schriften zur Kopernikanischen Lehre wurden auf den 1559 vom Papst zur Unterdrückung jeglichen progressiven Gedankengutes geschaffenen Index Librorum Prohibitorum (Liste der verbotenen Bücher) gesetzt, von dem sie erst 1835 gestrichen wurden. Auf diesem Index standen bis Anfang des 20. Jahrhunderts etwa 10 000 Bücher, darunter die Werke von Bruno, Kopernikus und vieler anderer „Ketzer“, bis 1827 Kants „Kritik der reinen Vernunft“, noch 1961 Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Überflüssig zu erwähnen, dass kommunistische Werke dazu gehörten. Ein indiziertes Buch durften Katholiken weder lesen noch herausgeben, aufbewahren oder verkaufen.

Den Hausarrest durfte Galilei später auf seinem Landgut bei Florenz verbringen, wo er sein Hauptwerk über die Fall- und Trägheitsgesetze schrieb. Das Manuskript wurde nach Holland geschmuggelt, dort aber erst 1638 verlegt. Völlig erblindet, arbeitete Galilei bis zu seinem Tod weiter. Er verfasste die Kohäsionslehre, beschäftigte sich weiter mit der Pendeluhr und entdeckte die Libration des Mondes. Ein Gnadengesuch lehnte der Papst ab.

Mit seinen Forschungsergebnissen befreite Galilei die Naturwissenschaften von den theologischen Beschränkungen. Mit der Anwendung der Mathematik erhob er diese zu einem Instrument der Naturforschung und der Begründung der klassischen Naturwissenschaften, darunter vor allem der Physik. U. a. formulierte er als Erster das Relativitätsprinzip und legte Grundsätze zur Bestimmung der Lichtgeschwindigkeit dar.

Bedingte Rehabilitation

Weltweit erhielt Galileo zahlreiche Ehrungen: 1935 wurden die Mondkrater im „Ozean der Stürme“ nach ihm benannt; Die NASA taufte ihr 1989 gestartetes Raumfahrzeug zur Erforschung des Jupiter und seiner Monde nach ihm; das europäische Satelliten-Navigationssystem trägt seinen Namen, in seiner Heimatstadt Pisa der Flughafen.

Bertolt Brecht hat in seinem Theaterstück „Leben des Galilei“ (Musik Hanns Eisler) am Beispiel des großen italienischen Forschers die Verantwortung des Wissenschaftlers in der Gesellschaft herausgearbeitet. 1943 in Zürich uraufgeführt, hat Brecht 1945 nach den Atombombenabwürfen in Japan mit dem Schauspieler Charles Laughton in Los Angeles eine zweite, englischsprachige Fassung erarbeitet, in der nun die Verantwortung des Wissenschaftlers für die Verwertung seiner Erkenntnisse im Vordergrund stand.

Im Oktober 1992 verkündete Papst Johannes Paul II. für Galilei anlässlich seines 350. Todestages eine bedingte Rehabilitation. Bedingt deshalb, weil der Papst die Inquisition noch immer rechtfertigte, in dem er ihr bescheinigte, „in gutem Glauben“ und „aus Sorge um die Kirche“ gehandelt und dabei „einen tragischen Fehler“ begangen zu haben. Der für seinen Fanatismus bekannte polnische Papst hatte die Stirn, das Urteil als ein „tragisches wechselseitiges Missverständnis“ zwischen dem Pisaer Wissenschaftler und den Richtern der Inquisition zu bezeichnen. Der unschuldig verurteilte Galilei wurde so mitverantwortlich gemacht. Kein Wort der Rehabilitation oder des Gedenkens fiel für die Millionen Opfer der Inquisition, kein Wort der Verurteilung der jahrhundertelangen Unterdrückung der Glaubens- und Gewissensfreiheit, des Fortschritts wissenschaftlichen Denkens und der Emanzipation des Menschen.

Anhänger von Franziskus, die ihn als Reformpapst feiern, warteten vergeblich auf eine Korrektur dieser menschenfeindlichen Haltung. Er hüllte sich wieder einmal in Schweigen.

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"Die Emanzipation der Naturforschung", UZ vom 20. Januar 2017



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