Wir alle sollen für die Kriegstüchtigkeit Deutschlands bluten

Die Front ist hier

Rheinmetall-Chef Armin Papperger konnte sein Glück kaum fassen. Erst am Montag hatte er den Spaten in die Hand genommen, um das Startsignal für den Bau einer neuen Munitionsfabrik im niedersächsischen Unterlüß zu geben. Bei der Gelegenheit lobte er die profitträchtigen Waffenlieferungen in die Ukraine als „historische Leistung unserer Bundesregierung“. Danach blieb kaum Zeit, um neue Champagnerflaschen kalt zu stellen. Denn schon vor Öffnung der Börsen am Dienstag schoss der Rheinmetall-Aktienkurs auf ein neues Rekordhoch.

Ursache dafür waren die am Tag zuvor bekanntgewordenen Forderungen nach frischen Milliarden für den Kriegshaushalt. Im Zuge der sich in schrillen Tönen überschlagenden Debatte warb Roderich Kiesewetter (CDU) für eine Verdreifachung des als „Sondervermögen“ bezeichneten Schuldenbergs für die Aufrüstung. Es sei „völlig klar, dass wir eher 300 statt 100 Milliarden benötigen, damit die Bundeswehr kriegstüchtig wird“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. Im gleichen Blatt sprach sich Andreas Schwarz (SPD) dafür aus, die Kriegs- und Zivilschutzausgaben von der „Schuldenbremse“ zu entkoppeln. „Eine Herausnahme sämtlicher Verteidigungskosten aus der Schuldenbremse hätte auf jeden Fall Charme“, so Schwarz.

Die bürgerlichen Leitmedien leisteten Schützenhilfe und berichteten unisono, dass diese Forderungen der Vorbereitung auf eine mögliche Präsidentschaft Donald Trumps dienen. Trump, der in bekannter Art und Weise durch den US-Vorwahlkampf trottelt, hatte zuvor das Beistandsversprechen der NATO infrage gestellt und damit einen willkommenen Anlass zur Formulierung deutscher Weltmachtsphantasien geliefert. Neu sind diese Ideen jedoch keineswegs. Von 300 Milliarden sprach die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), schon vor einem Jahr. Auch Schwarz und andere Beteiligte hatten sich schon vor der Trump-Rede für drastische Mehrausgaben ausgesprochen. Aber jetzt war der Zeitpunkt gekommen, dieses Programm groß aufzuziehen.

Die Aufregung um das Gerede aus Übersee ist ein armseliger Versuch, den langfristig angelegten militaristischen Staatsumbau zu vernebeln. Ebenso wird weiterhin von „Sondervermögen“ gesprochen, um zu verschleiern, wer für den wahnsinnigen Rüstungskurs zahlen soll: Wir alle! Der „Charme“, den eine Aussetzung der Schuldenbremse für Rüstungsausgaben hätte, besteht ja gerade darin, dass sie dann umso rücksichtsloser genutzt werden könnte, um den notwendigen sozialen Kahlschlag voranzutreiben.

Doch wir sollen nicht nur zahlen, sondern mitmachen. Darüber wurde Ende Januar beim Bundeswehr-Symposium „Deutschland. Gemeinsam. Verteidigen“ beraten. Eingeladen waren Militärs, Politiker, Wirtschafts- und Medienvertreter, die als „Multiplikatoren fungieren und dazu beitragen (werden), dass sich das gesamtgesellschaftliche Bewusstsein für die gewandelte sicherheitspolitische Realität weiter erhöht“, erläuterte Marcel Bohnert vom Deutschen Bundeswehr-Verband.

Auf der Veranstaltung gehörte die Forderung nach „panzerfitten Autobahnen“ für die „Drehscheibe Deutschland“ noch zu den harmloseren. Denn neben einer guten Logistik bedürfe es im Kriegsfall vor allem einer Vielzahl einsatzfähiger Menschen. Damit sind neben Soldaten vor allem die Kräfte des sogenannten „Zivilschutzes“ gemeint: Polizisten, Feuerwehrleute, Sanitäter und jede Menge Freiwillige in unterschiedlichen Bereichen. Was auf dem Symposium noch allgemein blieb, machte Patrick Sensburg, Präsident des Reservistenverbandes, im Anschluss konkret. „Deutschland braucht diese starke Gesamtverteidigung“, erläuterte er im Reservistenmagazin „loyal“. Denn dadurch könnten Wohnungen, zivile Betriebe und Kulturgüter „vor Kriegseinwirkungen“ geschützt werden. Deshalb sollten „alle jungen Männer und Frauen in Deutschland wieder zu einem Pflichtdienst von mindestens einem Jahr herangezogen werden.“ Das ermögliche nicht nur, einen Krieg durchzuhalten, sondern stabilisiere auch den Staat, weil „unterschiedliche Gesellschaftsgruppen“ integriert würden.

Ende März wird der „Operationsplan Deutschland“ vorgelegt, mit dem das Konzept zur „Gesamtverteidigung“ beschrieben wird. Ob er dann öffentlich wahrgenommen und vielleicht mit Forderungen nach weiteren Milliarden oder der Einführung einer Dienstpflicht gekoppelt wird, hängt vermutlich vom Zeitpunkt ab. Im Zweifelsfall wird gewartet, bis ein greiser Republikaner (oder ein vergesslicher Demokrat) etwas Wirres sagt oder Pappergers Champagner die richtige Temperatur erreicht hat.

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"Die Front ist hier", UZ vom 16. Februar 2024



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