Helmut Dunkhase, Berlin, zu den Vorzügen der Planwirtschaft

Die Zukunft liegt woanders

Helmut Dunkhase

Im Antrag des PV heißt es: „Die Einführung der ‚sozialistischen Marktwirtschaft‘ ist einerseits ein Schritt zurück …, andererseits hat sie zu einer stürmischen Entwicklung der Produktivkräfte geführt. Das Agrarland China wurde in historisch kurzer Zeit auf den Weg zu einem modernen Industrieland gebracht.“ Auch an anderen Stellen – etwa Zeilen 84 bis 85 oder 115 bis 118 – wird der Eindruck erweckt, dass Sozialismus erst mit Markt und Privateigentum erfolgreich wird. Das stimmt nicht für den vergangenen Sozialismus und erst recht nicht für einen künftigen.

Ganz davon abgesehen, dass die Errungenschaften der Mao-Zeit, auf denen die „stürmische Entwicklung der Produktivkräfte“ aufbauen konnte, unterschlagen werden, fand in der Sowjetunion genau das statt, was für China allein für die „Politik der Öffnung“ nach 1978 reklamiert wird: Sie wurde in historisch kurzer Zeit – nämlich von 1928 bis 1941 – auf den Weg zu einem modernen Industrieland gebracht, das in der Lage war, die faschistische Militärmaschinerie zu zerschlagen. Das jährliche indus­trielle Wachstum lag von 1928 bis 1937 bei 10 bis 12 Prozent. (Danach ging es stark zurück, weil wegen des drohenden Krieges die Ressourcen massiv auf die Bewaffnung verschoben werden mussten.)

Für unseren Zusammenhang sind zwei Errungenschaften bedeutsam.

  1. Die zentrale Planwirtschaft beruhte auf einem Wachstumsmodell (es war das erste überhaupt), das die Marxschen Reproduktionsschemata aus dem 2. Band des „Kapital“ mit ihrer Aufteilung in Produktions- und Konsumgüter anwendete.
  2. Die Planungsmethode bestand im Kern aus Materialbilanzen in physischen Größen. Geld spielte eine untergeordnete Rolle. Bei den Materialbilanzen geht es darum, die von der Regierung vorgegebenen Anforderungen mit den Kapazitäten der Betriebe und der zur Verfügung stehenden gesellschaftlichen Arbeitszeit in Einklang zu bringen. Das war ein schrittweiser Prozess von Vergleich und Korrektur, bis das Gleichgewicht erreicht wurde. Das Verfahren lässt sich auffassen als eine händisch durchgeführte Input-Output-Rechnung. Ohne maschinelle Datenverarbeitung ließ sich nur ein sehr beschränkter Bereich erfassen; das waren die Schlüsselindustrien beziehungsweise wichtige Güter.

    Die Sowjetunion hat diesen Weg leider nicht weiter verfolgt. Es ließen sich gute Gründe dafür anführen, dass die 1956 in die Wege geleiteten ökonomischen Reformen gemäß der Doktrin von der sozialistischen Warenproduktion und die 1932 erfolgte Aufhebung des „Parteimaximums“ (partmaksimum) – die Bezahlung der Parteikader sollte 150 Prozent der durchschnittlichen Löhne in den ihnen unterstellten Betrieben nicht überschreiten – maßgeblich zum Untergang in Zynismus und Korruption beigetragen haben.

    Aber es gibt in unserem Erbe eben auch zukunftsweisende Errungenschaften. Zu ihm gehört die genannte Input-Output-Rechnung. Mit moderner Computertechnik könnte sie ein wesentliches Werkzeug für eine kommunistische Produktionsweise mit wissenschaftlicher Planung auf der Basis von Arbeitszeitrechnung werden. Hier liegt die Perspektive für unser Land.

    Der PV schiebt mit seinem Antrag das Erbe sowohl der VR China als auch der Sowjetunion beiseite, unbelehrt darüber, wo Marktbeziehungen und Ungleichheit im bisherigen Sozialismus endeten: in der Unterwerfung unter den westlichen Kapitalismus oder in einer relativ eigenständigen kapitalistischen Produktionsweise.

    Mögen die chinesischen Genossen ihren Weg finden. Der PV ist entschlossen, ihm zu folgen und an ihm die „Weiterentwicklung der Programmatik der DKP“ (2. PV-Tagung) auszurichten. In der Tat: In seinem Antrag wird ein Sozialismusbegriff vorgelegt, der passförmig zu dem gemacht wird, was in China passiert, unserem Parteiprogramm aber widerspricht. Die chinesischen Genossen mögen die heutige Realität noch nicht für Sozialismus halten. Doch der PV tut es!

    Die Hartnäckigkeit, mit der der PV uns ein Bekenntnis zum „Sozialismus chinesischer Prägung“ abzuringen versucht, erklärt das hartnäckige Desinteresse an Planwirtschaft. Ein gefährlicher Weg.

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    "Die Zukunft liegt woanders", UZ vom 23. Dezember 2022



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