Zufällig starb in der letzten Woche ein großer Anarchist: Dario Fo

Ein Spielmann ist tot

Von Herbert Becker

Dario Fo

Dario Fo

( public domain)

Dario Fo selbst würde vielleicht so beginnen: Am 24. März 1926 plumpste ich zwischen den Beinen meiner Mutter unsanft ins Leben und war sofort hellwach, am 13. Oktober 2016 schloss ich müde, aber mit einem Lachen im Gesicht meine Augen.

Aus einer Eisenbahnerfamilie stammend, an mehreren Orten der Oberitalienischen Seen aufgewachsen, beginnt er ein Doppelstudium in Mailand, Architektur an der TH und Bühnenbild und Ausstattung an der Kunstakademie. Seine Begeisterung und seine Begabung für das Theater, für das Geschichten erzählen und die szenische Umsetzung führen zur Mitarbeit an Mailänder Bühnen, u. a. am „Piccolo Teatro“ von Giorgio Strehler. Das Studium bricht er ab, er lernt Franca Rame kennen und dies wird eine der fruchtbarsten Künstlerehen, die wir kennen.

Sein oder besser ihr gemeinsamer Weg geht zurück zu den mittelalterlichen Formen des Theaters, zu den Spielleuten, den Gauklern, Narren, Possenreißern. In Italien nennt man solche Künstler „Giullare“, schwierig zu übersetzen, von Dario Fo am liebsten mit „Der mit der Zunge schneidet“.

Die beiden trennen sich vom herkömmlichen Theaterbetrieb, gründen 1959 die erste einer Reihe von unabhängigen Theatergruppen und reisen kreuz und quer durchs Land.

Die Stücke, die seit dieser Zeit in rascher Folge erscheinen, tragen immer den Stempel des Vorläufigen, sie werden laufend verändert und variiert, aus dem Stegreif gefundene Szenen werden eingebaut, wieder verworfen, werden später doch wieder verwendet. Die Stücke-Titel sind selbst schon kleine Köstlichkeiten: „Wer einen Fuß stiehlt, hat Glück in der Liebe“ oder „Der Teufel hat immer schuld“, „Zufälliger Tod eines Anarchisten“, „Mamma hat den besten Shit“.

Sein bekanntestes und am häufigsten im In- und Ausland gespieltes Stück heißt „Mistero buffo“, das Nobelpreiskomitee begründet 1997 seine Entscheidung, Dario Fo den Literaturnobelpreis zu verleihen, mit ausdrücklichem Verweis auf die groteske Überbietung mittelalterlicher Originaltexte.

Dario Fo selbst erklärt sein Spiel und sein Schreiben so: Komik könne „nur gepaart mit einer ernsten Grundsituation entstehen, wo die Tragödie verschwindet, geht auch die Satire unter und es bilden sich die beiden Pole der bürgerlichen Kunst, also Drama und Komödie. Im Schwank, im Varieté (heute sollte man die Comedy-Clowns dazuzählen) gibt es dann degradierte Formen der Komik, die sich nicht mehr gegen die Herrschaft richten, sondern die sich über die Schwachen lustig machen, über Minderheiten, über Randgruppen. Das Lachen wird zum Verlachen.“

Dario Fo und Franca Rame haben nicht nur jede Menge Anfeindungen und Verrisse erlebt, mehrfach wurden Aufführungen kurz vor Beginn noch verboten, Fo von der Bühne herab verhaftet, unzählige Verfahren wegen Verleumdung und Herabwürdigung der Staatsgewalt eingeleitet und wieder eingestellt. Seine Zusammenarbeit mit der Gruppe „Lotta Continua“ oder mit dem Kollektiv „La Commune“ rufen die politische Polizei immer wieder auf den Plan, selbst nach dem Nobelpreis gibt es Aufführungsverbote, Radio- und Fernsehboykott, die USA verweigern ihm die Einreise zu Festivals und Inszenierungen.

Dario Fo und Franca Rame waren zeitweise Mitglieder der IKP, standen auch anarchistischen und trotzkistischen Gruppen nahe, aber die Reibungsflächen schienen immer zu groß. „Wir wollten unsere Arbeit in den Dienst der Klassenbewegung stellen, aber Dienst hieß für uns nicht, in einen von anderen geschneiderten Anzug zu schlüpfen, also ‚linke Künstler‘ zu sein, die es der Partei überließen, die Linie auszuarbeiten.“ In den letzten Jahren unterstützen die beiden die „Fünf-Sterne-Bewegung“ von Beppe Grillo, dies sicherlich aus persönlicher Freundschaft und Zusammenarbeit.

Dario Fo attackierte die auf vier Beinen stehende Macht aus Regierung, Industrie, Kirche und Justiz in Italien, ähnlich wie P.  P. Pasolini in „Saló oder die 120 Tage von Sodom“, seine Verbundenheit mit den arbeitenden Menschen, den Ausgemusterten, Unterdrückten und Verachteten blieb zeit seinen Lebens treibende Kraft seiner Arbeit und seines Lebens.

Mit der Nachricht, den Nobelpreis zu erhalten, ging er ganz typisch für ihn um: „Ich bin bestürzt. Ich kann mich nicht mehr halten vor Lachen“.

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Über den Autor

Herbert Becker (Jahrgang 1949) hat sein ganzes Berufsleben in der Buchwirtschaft verbracht. Seit 2016 schreibt er für die UZ, seit 2017 ist es Redakteur für das Kulturressort.

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"Ein Spielmann ist tot", UZ vom 21. Oktober 2016



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