Die Sondierungen für die Jamaika-Koalition sind in der entscheidenden Phase

Einigen oder Scheitern?

Von Nina Hager

Gibt es vielleicht doch Neuwahlen? Oder einigen sich die Unionsparteien, FDP und Grünen in wesentlichen Streitfragen? In dieser Woche kann sich das entscheiden. Am 16. November soll, wenn man sich verständigt hat, in großer Runde ein gemeinsames Papier diskutiert und verabschiedet werden, das als Grundlage für die Entscheidungen der Parteien dienen soll, ob sie tatsächlich in formelle Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition eintreten.

Doch die Zwischenbilanz der Verhandlungen fiel am vorigen Freitag noch mehr als „mau“ aus: Einige Themen wurden noch gar nicht behandelt, bei anderen ist man sich in wesentlichen Fragen nicht einig, streitet sich deshalb weiter vor allem mit den Grünen um die Klima-, Energie- und Flüchtlingspolitik, aber auch um eine andere Agrar- sowie Verkehrspolitik. Doch sind die Gegensätze unüberbrückbar? Jan Korte, 1. parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion der Partei „Die Linke“, hat da seine Zweifel: „Auch wenn jetzt natürlich die Differenzen betont werden, um den Preis noch etwas hochzutreiben, zeichnet sich hinter den Kulissen bereits ab, wohin die Reise mit der schwarzen Ampel gehen wird: An der schwarzen Null wird festgehalten und die Vermögensteuer ist vom Tisch. Gleichzeitig soll es Steuergeschenke für Konzerne und etwas mehr Internet geben. Sozialer Wohnungsbau, Ostdeutschland, Abrüstung, Bürgerrechte? Überall weitgehend Fehlanzeige. So werden die Unterfinanzierung der Kommunen und die soziale Spaltung weiter zementiert. Das freut den Bundesverband der Deutschen Industrie, dessen Forderungsliste die Sondierer brav abarbeiten. Allen, die an mehr Gerechtigkeit interessiert sind, muss die Entwicklung allerdings große Sorgen bereiten.“ Und er stellte in seiner Presseerklärung am 3. November weiter fest: „Bei so einem Zwischenergebnis hätte vor einigen Jahren normalerweise jeder angenommen, dass die Grünen aus den Sondierungen aussteigen müssen.“

In dieser Woche soll nun fast jeden Tag verhandelt werden. Am Donnerstag und Freitag dieser Woche stehen einige der Streitpunkte auf der Tagesordnung. Am Donnerstag wird über die Themen „Innen, Sicherheit, Rechtsstaat“, „Klima, Energie, Umwelt“ beraten. In der Runde über „Arbeit, Rente, Gesundheit, Pflege, Soziales“ wird gewiss auch über die Forderungen von Kapitalvertretern nach einer Änderung des Arbeitszeitgesetzes diskutiert, am Freitag über „Wirtschaft, Verkehr“, „Kommunen, Wohnen, Ehrenamt, Kultur, Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen“ sowie „Landwirtschaft, Verbraucherschutz“. Danach will man erneut eine Zwischenbilanz ziehen.

Was aber, wenn man sich – entgegen der pessimistischen Sicht von Jan Korte – doch nicht einigt? Die FDP hat da schon vorgesorgt. Am Sonntag erklärte ihr Parteivorsitzender Christian Lindner vorsorglich, seine Partei habe „keine Angst vor Neuwahlen“. Die Punkte der FDP müssten sich spürbar in einem Koalitionsprogramm wiederfinden. „Wenn das nicht möglich ist, gehen wir in die Opposition.“ Und die Grünen, von denen einige unbedingt wieder mitregieren wollen, kommen den Jamaika-Unterhändlern von Union und FDP im Tauziehen um die Klimapolitik in einem wichtigen Punkt entgegen. Sie beharren nicht länger darauf, bei einer Koalitionsvereinbarung das Ende des Verbrennungsmotors im Jahr 2030 festzuschreiben. „Mir ist klar, dass wir alleine nicht das Enddatum 2030 für die Zulassung von fossilen Verbrennungsmotoren durchsetzen werden können“, sagte Parteichef Cem Özdemir.

Andere in dieser Partei hoffen wohl darauf, im Falle von Neuwahlen Stimmen dazuzugewinnen. – Und dann?

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Einigen oder Scheitern?", UZ vom 10. November 2017



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