Machtausbau in Ankara

Erdogans Sicherheit

Von Rüdiger Göbel

Der Präsident schasst den Premier, 
lässt Journalisten verurteilen – und Brüssel gibt Bonuspunkte

In der Türkei ist der Posten der Ministerpräsidenten und Vorsitzenden der islamischen Regierungspartei AKP neu zu besetzen. Der nach Allmacht strebende Staatschef Recep Tayyip Erdogan hat seinen Regierungschef Ahmed Davutoglu zurücktreten lassen. Der Geschasste kündigte an, bei einem AKP-Sonderparteitag am 22. Mai nicht mehr für den Parteivorsitz zu kandidieren. Damit verliert er automatisch den Posten des Ministerpräsidenten. Davutoglu wird vorgeworfen, die Republik Türkei nicht entschieden genug in ein Präsidialsystem verwandelt zu haben, sprich, die Machtbefugnisse für Erdogan ausgeweitet und seine eigenen beschnitten zu haben.

Der nächste Regierungschef von Erdogans Gnaden soll so schnell wie möglich ein Referendum zur Einführung der Präsidentenherrschaft durchführen lassen. Nur ein solches „System“ sei eine „Garantie für Stabilität und Sicherheit“, dekretierte Erdogan aus dem Ak Saray, seinem gigantomanischen Präsidentenpalast in Ankara. Erdogan will freie Hand für die Kriegführung gegen die Kurden im Südosten, gegen die von der Regierung unabhängige Presse und überhaupt gegen jede kritische Stimme in der Türkei.

„Erdogan will auf dem Weg zur Präsidialdiktatur jede noch so kleine Unsicherheit beseitigen“, erklärte Sevim Dagdelen, Sprecherin für Internationale Beziehungen der Linksfraktion im Bundestag, im Deutschlandfunk den Rückzug von Davutoglu. Dass der Premier ein treuer Diener seines Herrn war, daran hat er selbst am Ende keinen Zweifel gelassen. „Die Ehre unseres Präsidenten ist meine Ehre“, sagte er beim Abgang, seinem Führer „ewige Freundschaft“ gelobend. Davutoglu habe zumindest den Schein wahren wollen, als sei er ein autonomer Ministerpräsident und als würde er eigenständige Entscheidungen fällen, so Dagdelen. Das sei für Erdogan „einfach zu viel“ gewesen.

„Auf Erdogans Schachbrett war Davutoglu nie mehr als ein Bauer“, brachte die Linke-Politikerin das Verhältnis des Duos auf den Punkt. Von einem „Machtkampf“ in Ankara könne man nur schwer sprechen, da der Regierungschef und AKP-Vorsitzende über keine eigenständige Macht verfügt habe. „Davutoglu war nur stets der willige Vollstrecker von Erdogan und ein eigenständiges Politikkonzept hat er nie verfolgt. Sein Programm hieß immer nur Erdogan.“

Die Kanzlerin Angela Merkel und die EU sorgen sich nach Davutoglus Rücktritt darum, dass nun der Flüchtlingsdeal mit der Türkei gefährdet sein könnte. Gegen Milliardenzahlungen der EU hatte die Türkei sich bereiterklärt, Flüchtlinge an der Weiterreise nach Griechenland zu hindern. Während es Merkel um die Abschottung Europas geht, fragt die Linke-Politikerin, welche Folgen Davutoglus Rückzug für die demokratischen Kräfte in der Türkei haben wird. Der Rücktritt Davutoglus sei „Auftakt einer weiteren Zuspitzung der innenpolitischen Lage“. Erdogan werde den Rückzug nutzen, um durch vorgezogene Neuwahlen die notwendige verfassungsändernde Mehrheit zur Durchsetzung seiner Präsidialdiktatur zu erlangen.

Dazu passt, dass die einzige linke Opposition im türkischen Parlament ausgeschaltet werden soll. Kurz vor Davutoglus Demission wurde die Aufhebung der Immunität der Abgeordneten der prokurdischen HDP in die Wege geleitet. 50 von 59 ihrer Parlamentarier sollen wegen Terrorunterstützung vor Gericht gestellt werden, allen voran die Vorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag.

Die EU und allen voran die Bundesregierung sind zur Zeit die wichtigsten Helfer des Despoten am Bosporus. Unmittelbar nach dem Coup gegen die HDP und kurz vor der Verurteilung zweier regierungskritischer Journalisten zu langjährigen Haftstrafen hat Brüssel das „Ready to go“ bei der geplanten Visa-Liberalisierung für die Türkei verkündet. Damit leiste die Europäische Union „Wahlkampfhilfe“ für Erdogans Präsidialdiktatur, so Dagdelen im Deutschlandfunk.

Can Dündar, Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet, wurde am Abend des 6. April zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Sein Kollege Erdem Gül soll fünf Jahre in den Knast. Die beiden hatten illegale Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an islamistische Terrorgruppen in Syrien aufgedeckt. Kurz vor der Urteilsverkündung war Can Dündar vor dem Gerichtsgebäude nur knapp einem Attentatsversuch entkommen. Der Schütze hatte „Vaterlandsverräter“ gerufen. „Geistiger Urheber der Tat ist der türkische Präsident Erdogan, der Journalisten öffentlich zu Angriffszielen erklärt“, so die Linke-Politikerin Dagdelen. „Wer weiterhin Waffen an Erdogan liefert und mit ihm Geschäfte schließt, gibt die Grundrechte in der EU zum Abschuss frei. Ohne das Schweigen von EU und Merkel hätte es dieses Urteil so nicht gegeben.“

Can Dündar selbst hatte im April in einem offenen Brief an Kanzlerin Merkel bekundet, in der Türkei herrsche heute „ein Kampf, ein Tauziehen, zwischen Demokraten und Autokraten“. In dieser „historischen Schlacht“ stehen, so Dündar, Merkel und Deutschland „leider auf der falschen Seite“.

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"Erdogans Sicherheit", UZ vom 13. Mai 2016



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