Kurdische Kräfte drängen IS zurück, das türkische Militär Flüchtlinge

Nicht nachfragen

Von Birgit Gärtner

In der vergangenen Woche ist den kurdischen Volksverteidigungskräften YPG/YPJ ein entscheidender Schlag im Kampf gegen die Terrorbanden des Islamischen Staates (IS) gelungen: Sie konnten die syrische Grenzstadt Tal Abyad einnehmen, ein strategisch wichtiger Punkt für den IS. Durch einen Korridor zur auf türkischem Staatsgebiet gelegenen Grenzstadt Akçakale wurde mit Wissen der Türkei der Nachschub garantiert, Handel getrieben und neue IS-Kämpfer eingeschleust.

In den Tagen zuvor spielten sich unvorstellbare Szenen an jenem Grenzübergang ab: Zehntausende Menschen versuchten den Gefechten zu entkommen. Sie wurden jedoch von IS-Kämpfern abgefangen, und das türkische Militär setzte Wasserwerfer ein, um die verzweifelten Menschen am Grenzübertritt zu hindern. Trotzdem gelang es Tausenden, die Grenze zu überwinden.

Offiziellen Angaben zufolge hat die Türkei bislang ca. 1,8 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Mehr als drei Millionen Menschen sind aus dem Land geflohen, weitere neun Millionen sind innerhalb Syriens auf der Flucht. Weltweit sind Schätzungen zufolge derzeit etwa 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Das entspricht der Bevölkerungszahl der alten Bundesrepublik. Die Hälfte davon Kinder.

Wie tief die türkische Seite in den Konflikt verstrickt ist und den IS unterstützt, zeigt u. a. die Reaktion des Gouverneurs der Provinz Urfa, Izzettin Kücük, auf kritische Fragen von Journalistinnen und Journalisten bei einer Pressekonferenz, die er in Akçakale abhielt. Dort berichtete er, die Türkei habe aktuell 23 5000 syrische Flüchtlinge aufgenommen. Diese seien vor der PKK und den kurdischen kämpfenden Einheiten geflohen. Welt-Redakteur Deniz Yücel, und seine Kollegin Özlem Topçu, die für die Zeit berichtet, hinterfragten die Sichtweise des Gouverneurs. Hasan Akbas von der linken Tageszeitung Evrensel, wagt es gar, den IS ins Gespräch zu bringen. Der Gouverneur hielt sich nicht lange mit ausweichenden Erklärungen auf, sondern brach wütend die Pressekonferenz ab. Und ließ anschließend die drei Genannten sowie Pinar Ögünç von der Tageszeitung Cumhuriyet von Uniformierten auf das nächste Polizeipräsidium bringen. In Windeseile verbreitete sich die Kunde und auch Bilder von der Festsetzung in verschiedenen Medien sowie sozialen Netzwerken im Internet. Nach einer Dreiviertelstunde konnten sie wieder gehen.

Präsident Recep Tayyip Erdogan ist derweil damit beschäftigt, Partner für eine Regierungskoalition zu gewinnen. Bei den Wahlen am 7. Juni 2015 hatte seine Partei, die AKP (Adalet ve Kalkinma – Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung), nach 13 Jahren die absolute Mehrheit verloren. Die Oppositionsparteien wurden zu Koalitionsgesprächen eingeladen – bislang verzichteten alle jedoch dankend. Darauf drohte Erdogan unlängst an, „das Volk“ das Problem „lösen“ zu lassen. Als Präsident kann er laut Verfassung das Parlament auflösen und Neuwahlen ausrufen, wenn eine Regierungsbildung nicht binnen 45 Tagen gelingt.

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"Nicht nachfragen", UZ vom 26. Juni 2015



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