Zur Kooperation von Kriegsministerium und Bundesagentur für Arbeit

Erwerbslose an die Front

Ulrike Eifler

Während die Parteien tagelang über Wahltermine stritten und sich gegenseitig bezichtigten, den Ampel-Bruch mutwillig herbeigeführt zu haben, vollzog sich im Hintergrund nahezu unbemerkt ein weiterer Schritt des militaristischen Staats- und Gesellschaftsumbaus. So billigte die Bundesregierung am Tag nach der Entlassung von Christian Lindner einen Gesetzentwurf des Verteidigungsministeriums zur Neuregelung des Wehrdienstes. Jeder Jugendliche – Mann wie Frau – soll künftig mit Erreichen des 18. Lebensjahres einen Fragebogen erhalten. Für die Männer ist das Ausfüllen verpflichtend. Die Bögen werden durch die Bundeswehr gesichtet, etwa 10.000 Kandidaten werden zur Musterung geladen, knapp die Hälfte von ihnen für eine sechsmonatige Basisausbildung rekrutiert. Im Anschluss sollen sie der Truppe als Reservisten zur Verfügung stehen.

Natürlich hätte Verteidigungsminister Boris Pistorius, der sich die Kriegsertüchtigung des Landes zum Ziel gesetzt hat, die Wehrpflicht gern wieder in Gänze eingeführt. Damit war er aber innerhalb der SPD auf Widerstand gestoßen. Weniger gefährlich ist die Neuregelung nicht. Sie reaktiviert die Wehrerfassung nach dem Wegfall der Kreiswehrersatzämter und dient so der Einführung der Wehrpflicht durch die Hintertür. Die Bundeswehr hat im Falle eines Krieges nach wie vor das Recht, alle wehrfähigen Männer verpflichtend einzuziehen, das Wehrregister schafft dafür nun die Datengrundlage. Bisher konnte man der Weitergabe seiner Daten an die Bundeswehr durch die Meldebehörden widersprechen, mit Inkrafttreten der Neuregelung erlischt dieses Recht.

Flankiert wird das neue Wehrregister durch eine Vereinbarung zwischen dem Verteidigungsministerium und der Bundesagentur für Arbeit. Diese kam ebenfalls in der Woche des Ampel-Bruchs zustande. Unter der Maxime „Stärkung der militärischen Personalgewinnung“ soll Arbeitsuchenden künftig ein „militärischer Beruf“ angeboten werden. In einer Zeit, in der die Industrie über Fachkräftemangel klagt, in der Pflegekräfte, Lokführer, Kita-Beschäftigte oder Lehrer fehlen oder völlig überlastet sind, stellt die Bundesregierung die Weichen für den Personalaufbau in der Bundeswehr? Heute scheint nicht mehr die Privatisierung die größte Gefahr der öffentlichen Daseinsvorsorge zu sein, sondern ihre Militarisierung. Die Zeitenwende wird zum Angriff auf unsere Gesundheitsversorgung, auf unsere Bildung und den Öffentlichen Personennah- und -fernverkehr.

Geht es nach der Bundesregierung, so sollen die derzeit 180.000 Soldaten und 60.000 Reservisten auf 460.000 Soldaten, davon 260.000 Reservisten, aufgestockt werden. In der Öffentlichkeit wird die Debatte um die Wehrpflicht möglichst entpolitisiert. Pistorius bemüht sich nach Kräften, die Rekrutierung unserer Kinder für den Krieg in der Öffentlichkeit wie eine Fachkräftedebatte zu führen und als scheinbaren Verwaltungsakt zu bagatellisieren.

Die massiven Verschärfungen bei Zumutbarkeitsregelungen und Sanktionen für Bürgergeldempfänger, die erst vor wenigen Wochen beschlossen worden sind, bekommen vor diesem Hintergrund noch einmal einen ganz anderen Sinn. Dienten derlei Verschärfungen mit der Einführung von Hartz IV vor allem der Akzeptanz schlechterer Arbeitsbedingungen, leisten die Einschränkungen heute ihren Beitrag dazu, die von Deindustrialisierung und Arbeitsplatzverlust bedrohten Kernbelegschaften der Kriegsmaschinerie zuzuführen.

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"Erwerbslose an die Front", UZ vom 22. November 2024



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