Staat muss Krankenkassen die Pandemiekosten in voller Höhe erstatten

Es geht an die Reserven

Untersucht man die Auswirkungen der Pandemie auf die 105 gesetzlichen Krankenkassen mit 57 Millionen Mitgliedern, ist nach vorläufigen Zahlen für 2020 noch keine alarmierende Entwicklung feststellbar. Zukünftig hängt die Versorgung von 73 Millionen Versicherten – Mitgliedern und beitragsfrei mitversicherten Angehörigen – mit davon ab, ob der Bund zusätzliche Kosten ausgleicht oder nicht. 2020 betrugen sie 16 Milliarden Euro. Auch hier macht die Pandemie die bestehende Probleme sichtbarer.

Die Beiträge der Versicherten inklusive der sogenannten Arbeitgeberbeiträge, die ein Lohnbestandteil, keine „Nebenkosten“ sind, und die staatlichen Zuschüsse zum Ausgleich politischer Lasten (14,4 Milliarden Euro im Jahr 2020) fließen in den Gesundheitsfonds. Nach einem Schlüssel, der die Mitgliederstruktur berücksichtigen soll, erhalten die Kassen dann ihre Zuweisungen.

Die Einnahmen stiegen 2020 an, aber nur um runde 2 Prozent, während es im Schnitt der Vorjahre 4 Prozent waren. Die Ausgaben (251 Milliarden) überstiegen 2019 die Einnahmen (250,4 Milliarden) leicht, was aber bei Reserven von 20 Milliarden Euro gut abgefangen werden konnte. Vorläufige Zahlen für die beiden ersten Quartale 2020 zeigen zunächst ein Defizit von 1,3 Milliarden, im zweiten, aber einen gleich hohen Überschuss. Der kam zustande, weil ab März viele auf notwendige Behandlungen verzichteten, die Ausgaben für Zahnersatz zum Beispiel sanken um 7,2 Prozent, für Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen gar um 15,2 Prozent. Ab dem dritten Quartal gab es hier Nachholeffekte.

Für 2021 sagte der Bund einmalig weitere 5 Milliarden Zuschuss zu. Ob das die Pandemiekosten abdeckt, ist so ungewiss wie der weitere Verlauf. So kostete das Freihalten von Intensivbetten 10,5 Milliarden Euro, der Bund erstattete aber nur 8,8 Milliarden. Fakt ist, dass die Zusatzbeiträge, die über die 14,6 Prozent gesetzlichen Beitrag hinaus in unterschiedlicher Höhe erhoben werden, von durchschnittlich 1,1 auf 1,3 Prozent steigen. Nicht nur der DGB warnte jüngst mehrfach davor, dass Spahn die Reserven der Kassen antasten und somit letztendlich den Versicherten in die Taschen greifen will. Die Gewerkschaften fordern, dass der Staat den Krankenkassen die Pandemiekosten in voller Höhe erstatten muss.

Hier nur gestreift werden sollen Forderungen von Gewerkschaften, Sozialverbänden und einigen Parteien, darunter der DKP, die Krankenkassen finanziell auf eine solidere Basis zu stellen mit einer „Bürgerversicherung“, in die alle einzahlen und bei der alle Einkommensarten angerechnet werden. Das ohne eine Beitragsbemessungsgrenze, die Bruttoeinkünfte von über 4.837,50 Euro (2020: 4.687,50) beitragsfrei stellt und somit nicht nur besser verdienenden Arbeitenden zugute kommt, sondern vor allem jenen, die von leistungsfreien Einkünften wie Dividenden und Ähnlichem gut leben. Das System der Fallpauschalen gehört abgeschafft, nicht erst seit der pandemiebedingte Rückgang lukrativer und häufig auch unnötiger Operationen die Gehaltszahlungen in vielen Krankenhäusern gefährdet.

Verschärfen wird sich auch das Problem der offiziell 143.000 nicht versicherten Menschen. Bei Einführung der Krankenversicherungspflicht wurden de facto auch Mindestbeiträge eingeführt, da hier aktuell ein Einkommen von 1.096,67 Euro unterstellt wird. Der Beitrag beträgt dann mindestens 175 Euro monatlich, ohne Pflegeversicherung. Nicht abhängig Beschäftigte tragen ihn in voller Höhe. Das konnten schon vor der Pandemie viele Solo-Selbstständige oder andere, die sich mit Einkünften unter Hartz IV durchschlugen, nicht aufbringen. Die SPD feierte sich für diese Regelung, dass es aber Menschen mit niedrigeren Einkünften gibt, die sich nicht ins Hartz-IV-System pressen lassen wollen, scheint ihr im besten Fall unbekannt zu sein.

Besonders betroffen sind Bezieher von Betriebsrenten, die seit 2004 auch den jeweils vollen Beitrag zahlen mussten. Bei der gesetzlichen Rente wird nur der Arbeitnehmeranteil fällig. Auch auf Druck der Gewerkschaften, die ab 2019 wieder die Parität bei den Zusatzbeiträgen durchsetzten, gibt es seit 2020 einen Freibetrag von monatlich 159,25 Euro, was um bis zu 25 Euro netto entlastet. Vorher wurde beim Überschreiten dieser Grenze der volle Betrag ab dem ersten Euro beitragspflichtig.

Letztlich sei erwähnt, dass die fortdauernde Umwandlung des Gesundheitswesens in eine profitorientierte Krankheitswirtschaft die Versicherten mit belastet, da sie auch die Profite jener Konzerne mitfinanzieren müssen, an die beispielsweise einst kommunale Kliniken oft billig verscherbelt wurden. Dass auch in Pandemiezeiten weiter Krankenhäuser geschlossen werden, zeigt, wie wenig ernst es vielen verantwortlichen Politikern ist mit Zusagen, das Gesundheitswesen zu stabilisieren und bessere Verhältnisse für die Beschäftigten zu schaffen.

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"Es geht an die Reserven", UZ vom 15. Januar 2021



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