Europa. Jetzt aber richtig?

Rainer Perschewski zum Mai-Aufruf des DGB

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und seine Mitgliedsgewerkschaften haben in diesem Jahr völlig zu Recht die anstehenden Wahlen zum Parlament der Europäischen Union (EU) zum Schwerpunktthema des Mai-Kampftages gewählt. Zu Recht deswegen, weil diese EU mit ihren Verträgen in die Entwicklung ihrer Mitgliedstaaten mit Folgen für die Arbeits- und Lebensbedingungen einwirkt. Zu Recht auch deswegen, weil von den DGB-Gewerkschaften als größte Organisation der Arbeiterbewegung erwartet werden kann, dass sie dem Anliegen der Werktätigen auf der politischen Ebene Gehör verschaffen und Forderungen formulieren, woran sich die Parteien messen lassen. Genau dort liegt der Schwerpunkt des Aufrufes, wenn es heißt, dass immer mehr Menschen in der EU erleben, „dass die Interessen der Märkte oft Vorrang haben vor sozialen Belangen.“ Deshalb heißt für den DGB „Europa. Jetzt aber richtig!“, den sozialen Bekenntnissen auch (endlich) Taten folgen zu lassen. Die Inhalte, die diesen „Taten“ folgen müssen, werden benannt: Soziales vor Unternehmensinteresse, Standards für Arbeitsbedingungen statt Dumping-Wettbewerbe, Tarifbindung und Mindestlöhne, Chancengleichheit und bessere Lebensbedingungen, Arbeitnehmerrechte, Sozialpolitik und Umweltschutz müssen Vorrang gegenüber den Marktinteressen haben.

Der Aufruf ist zudem geprägt von dem Erstarken rechtskonservativer Parteien in Europa, die sich in Deutschland in Form der AfD mit einem neofaschistischen Flügel festsetzen konnte. Der Aussage, dass diese Kräfte keinerlei Alternativen bieten, ist nur zuzustimmen. Ebenso wird es dem internationalen Anspruch des Maikampftages gerecht, wenn er zu einem Tag gegen „Intoleranz, Nationalismus, Rassismus und Rechtspopulismus“ gemacht wird. Beides – die fehlende Sozialpolitik und der Rechtsruck – muss im Zusammenhang betrachtet werden.

Warum ist es so, dass es in den sieben Jahrzehnten des Entwicklungsprozesses der EU nicht gelungen ist, eine Sozialpolitik zu entwickeln? Jüngste Analysen zeigen, dass auch in der EU die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderdriftet.

Nicht der eigentliche Aufruf liefert Erklärungsansätze, aber der entsprechenden Gesamtflyer des DGB dazu. Hier wird ergänzend auf die Wirkungen durch die „rigide Sparpolitik und die neoliberalen Wirtschaftskonzepte“ in der EU hingewiesen, der Mai-Aufruf noch einmal inhaltlich unterlegt und die Forderungen ergänzt. Die Nennung des Grundfehlers der EU bleibt aus: In allen EU-Verträgen liegt der Schwerpunkt in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, und genau deswegen steht der Gewinner dieser Einigung fest: das Monopolkapital.

Deregulierung, Wettbewerb, Lohndumping, das sind die asozialen Grundwerte des in der EU vorherrschenden neoliberalen Wirtschaftskurses, die den deutschen Unternehmen ihre Rendite sichern. Der Zusammenhang zwischen der Wirtschaftspolitik und dem Rechtsruck in der Gesellschaft wird in den wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen der Forschung durchaus gesehen. Genau hier heißt es anzusetzen: Der Rechtsruck ist ein Ergebnis der herrschenden Politik und hier müssen die eigenen Forderungen in den Vordergrund und in den Mittelpunkt der Aktionen gestellt werden. Damit würde ein wirksamer Kampf gegen den „Rechtspopulismus“ eingeleitet werden. Letztlich muss aber diese Europäische Union überwunden werden. Das ist, auch historisch gesehen, eine Schlussfolgerung der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung gewesen: Ein vereintes Europa kann nur sozialistisch sein. Diese Vision gilt es wieder aufleben zu lassen.

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"Europa. Jetzt aber richtig?", UZ vom 26. April 2019



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