Der türkische Präsident Erdogan schwört sein Land auf langen „Unabhängigkeitskrieg“ ein

Falscher Friedensfürst

Von Rüdiger Göbel

Präsident Recep Tayyip Erdogan hat nach Bekunden der Bundesregierung die Türkei zur „zentralen Aktionsplattform“ für islamistische Terrorgruppen im Nahen Osten ausgebaut. Die vom türkischen Staatschef unterstützten Dschihadistenbanden sind seit gut fünf Jahren dabei, das Nachbarland Syrien zu destabilisieren und mit Krieg zu verheeren, jetzt wenden sie sich gegen ihren langjährigen Förderer. Zum Jahreswechsel hat sich das Kalifat des „Islamischen Staates“ mit einem Massaker in einer Istanbuler Edeldisko blutig zu Wort gemeldet und der laizistischen Türkei den Krieg erklärt.

Erdogan selbst will die Türkei in einen „neuen Unabhängigkeitskrieg“ führen. „Die nationale Einheit, territoriale Integrität, Institutionen, Wirtschaft, Außenpolitik, kurz alle unsere Elemente, die uns als Staat aufrecht erhalten, werden scharf angegriffen“, behauptete der Staatschef in seiner Botschaft für das Jahr 2017. „Terrororganisationen sind nur die sichtbaren Gesichter und Werkzeuge dieses Kampfes. Wir kämpfen im Wesentlichen gegen die Mächte hinter diesen Organisationen.“ Wer die dunklen Mächte sein sollen, verriet Erdogan nicht. Doch man kann sich an fünf Fingern abzählen, dass er die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen meint, deren Chef im US-amerikanischen Exil lebt und von der türkischen Führung für den Putschversuch im vergangenen Sommer verantwortlich gemacht wird. Der Militärcoup sei „der abscheulichste Terrorangriff“ in der Geschichte der Republik gewesen. „Der Türkei ist es gelungen, aus dieser Katastrophe eine neue Auferstehung und einen Neuanfang zu machen.“

International wird hier und da Kritik an Erdogans autoritärem Kurs formuliert, ernsthafte Konsequenzen hat er jedoch nicht zu fürchten. Im Gegenteil: Die NATO steht weiter stramm an der Seite des Gewaltherrschers und unterstützt dessen Krieg gegen die Kurden im Südosten sowie im Nachbarland Syrien. Die Bundesregierung kann nach eigenem Bekunden nicht ausschließen, dass die türkische Armee für ihre Angriffe Aufklärungsdaten der „Tornado“-Jets der Bundeswehr nutzt, die offiziell als Teil der US-geführten Anti-IS-Allianz im Einsatz sind. Und nach dem IS-Terrorakt am Bosporus reichten die USA, die EU und die Bundesregierung dem Terrorpaten die Hand.

Dank Moskauer Initiative mutiert Erdogan, Anheizer im Syrien-Krieg, partiell zum Friedensfürsten. Russland und die Türkei erwirkten Ende Dezember eine Feuerpause in ganz Syrien – die von den islamistischen Gewaltextremisten von IS, Nusra-Front und Ahrar Al-Sham gehaltenen Gebiete ausgenommen. Noch im Januar sollen im kasachischen Astana Gespräche zwischen Vertretern der syrischen Regierung von Präsident Baschar Al-Assad und deren Gegnern stattfinden – sofern letztere aus den NATO-Staaten nicht länger zum Fernbleiben vom Verhandlungstisch und zur weiteren Kriegführung ermuntert werden. Die Zusammenkunft wird von Russland und Erdogans Türkei ausgerichtet, die über Jahre auf den gewaltsamen Regime-Change in Damaskus hingearbeitet hatte. Wie aus Moskau verlautete, sind auch Ägypten, Saudi-Arabien, Kuwait und Katar eingeladen, sich an den Vorbereitungen zum Treffen in Astana zu beteiligen. Auch der Iran sei zur Lösung des Konflikts ein wichtiger Partner. Zudem solle die neue US-Regierung unter dem künftigen Präsidenten Donald Trump, der am 20. Januar vereidigt wird, ein „wichtiger Teilnehmer“ sein. Damit wären die wichtigsten internationalen Akteure des Syrien aufgenötigten Krieges am Tisch.

Noch unklar ist, welche Zugeständnisse Erdogan für sein Einlenken herausgeschlagen hat. Für sein Vorgehen gegen die Kurden hat er offensichtlich Carte blanche. Bei früherer Gelegenheit hatte der Staatschef seinen Großmachtambitionen in der Region freien Lauf gelassen und betont, dass das irakische Mossul und das syrische Aleppo dem türkischen Volk gehörten. Erdogans „neuer Unabhängigkeitskrieg“ ist noch lange nicht entschieden.

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"Falscher Friedensfürst", UZ vom 6. Januar 2017



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