Gewerkschaften und soziale Proteste: Strategiekonferenz der VKG

Gegenseitige Stärkung

Die „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften“ (VKG) führt am 8. und 9. Oktober eine Strategiekonferenz in Frankfurt a. M. durch. Über die Inhalte dieser Konferenz haben wir mit Christa Hourani gesprochen. Sie ist UZ-Autorin und eine der Sprecherinnen der VKG.

UZ: Du wirst auf der Strategiekonferenz der VKG zum aktuellen Kampf gegen Reallohnabbau und Inflation sprechen. Worauf kommt es in diesem Kampf an?

Christa Hourani: Zur Debatte auf der Konferenz haben wir unter anderem Jana Kamischke eingeladen, die den Streik der Beschäftigten der Nordseehäfen mit organisiert hat und sowohl Mitglied in der Bundestarifkommission als auch in der betrieblichen Vertrauenskörperleitung ist. Dieser Streik im Hafen war ein guter gewerkschaftlicher Auftakt im Kampf gegen die Inflation. ver.di hat – statt einer Prozentforderung – 1,20 Euro mehr in der Stunde für alle gefordert. Dies war insofern gut, dass sich damit das Grundlohnniveau bedeutend erhöhen lässt und auch die unteren Lohngruppen angehoben werden. Zusätzlich wurde ein realer Inflationsausgleich von 7,4 Prozent plus einer gleitenden Lohnskala gefordert, um weitere Preissteigerungen auszugleichen. Das klare Ziel war, den Lebensstandard zu halten.

Auch was die Streikbewegung und -beteiligung betrifft hatte die Tarifauseinandersetzung bei den Seehäfen viel Dynamik. Von diesem Kampf können wir viel lernen für die anstehenden Tarifrunden in der Metall- und Elektroindustrie sowie im Öffentlichen Dienst. Auch wenn das Ergebnis leider nicht die Kampfbereitschaft und Erwartungen der Kollegen abbildet.

UZ: Die Bundesregierung hat gerade das dritte „Entlastungspaket“ aufgelegt. Ist es momentan nicht der realistischere Weg, von der Bundesregierung weiteren Ausgleich zu fordern anstatt für Lohnerhöhungen zu kämpfen? Die derzeitige Erfahrung ist doch, dass die in den Tarifabschlüssen vereinbarten Lohnerhöhungen nicht ausreichen, um die massiven Preissteigerungen auszugleichen.

Christa Hourani: Die bisherigen Entlastungspakete haben keinen wirklichen Ausgleich für die vielen zusätzlichen Belastungen gebracht. Diese Regierung ist auch nicht gewillt, die Werktätigen, Rentner und Jugendlichen vor den Auswirkungen der Preisexplosion, dem Abbau der Sozialleistungen und den sonstigen Folgen der allgemeinen Krise zu schützen. Zudem weigert sie sich, die Vermögen der Superreichen und die Gewinne der Konzerne anzutasten. Die vereinbarten 65 Milliarden, die für das dritte Entlastungspaket ausgegeben werden, hören sich zwar beeindruckend an, kompensieren aber nicht die immensen Belastungen. Dazu kommt, dass die Gasumlage ein heftiger Angriff auf die einfachen Leute ist. Sie sollen die Zeche für die kapitalistische Krise und die Sanktionspolitik gegen Russland zahlen, damit sich die Gas- und Energiekonzerne weiter die Taschen voll stopfen können.

Wir brauchen die Sozialproteste im Herbst, weil nur mit dem Druck von der Straße Maßnahmen durchgesetzt werden können, die wirklich entlasten. Aber es braucht natürlich auch kämpferische Tarifrunden mit kräftigen Lohnerhöhungen. Über beide Stränge müssen wir die Angriffe zurückdrängen, um der Verarmung wirksam entgegenzutreten, um zu verhindern, dass wir im Winter frieren und hungern müssen.

UZ: Letzte Woche sind die Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektro­industrie gestartet, deren Ergebnis in der Vergangenheit Signalwirkung auch für andere Branchen hatte. Die IG Metall fordert 8 Prozent mehr Lohn und hat mit der Unterschriftenkampagne „Krisengewinne abschöpfen – Kosten deckeln“ versucht, Einfluss auf die Politik zu nehmen. Ist das also der richtige Weg – das eine zu tun ohne das andere zu lassen?

Christa Hourani: Ich glaube nicht, dass von dieser Tarifrunde eine Signalwirkung ausgehen wird, wie es oftmals in der Vergangenheit der Fall war. Dazu ist die Forderung einfach zu niedrig. In der Metall- und Elektrobranche brauchen wir ganz dringend deutliche tabellenwirksame Lohnerhöhungen, weil die letzte viereinhalb Jahre zurückliegt, seitdem gab es nur Einmalzahlungen und anderes. Die 8 Prozent sind viel zu niedrig, um Reallöhne zu sichern.

In den Metallbetrieben sind auch wesentlich höhere Forderungen diskutiert worden – viele im zweistelligen Bereich zwischen 11 und 15 Prozent. Wir als VKG haben eine Festgeldforderung zwischen 350 und 400 Euro vorgeschlagen – das wären etwa 12 Prozent auf den Facharbeiterecklohn. Damit hätten wir die Reallohnsenkungen einigermaßen abwehren können.

Andere Bereiche haben bereits ganz gute Ergebnisse erzielt. Dazu gehören zum Beispiel die Kollegen der Bodenverkehrsdienste am Stuttgarter Flughafen. Zum 1. August steigen dort die Löhne um 8 Prozent, mindestens aber 1 Euro pro Stunde. Nach fünf Monaten folgt zum 1. Januar 2023 die zweite Stufe mit 10 Prozent. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von elf Monaten. Das finde ich einen erfreulichen Abschluss – so was sollte Signalwirkung haben.

Für die IGM-Unterschriftenkampagne haben 200.000 Menschen unterschrieben. Nun muss Protest organisiert werden, um die darin formulierten Forderungen durchzusetzen. Außerdem: Nur die Krisengewinne abzuschöpfen greift zu kurz. Es braucht eine allgemeine Besteuerung der großen Vermögen. Der Gaspreisdeckel für den Grundbedarf der Haushalte wäre ein weiterer Schritt. Noch wichtiger ist, den Wirtschaftskrieg gegen Russland zu beenden – Nord Stream 2 muss geöffnet werden. Und wir brauchen Friedensverhandlungen. Dann wären die Grundlagen für die ständig steigenden Gas- und Energiepreise, aber auch die steigenden Lebensmittelpreise, entzogen.

UZ: Wie bewertest du die derzeitigen sozialen Proteste? Welche Rolle spielen Gewerkschaften dabei und welche Rolle könnten und sollten sie deiner Meinung nach spielen?

Christa Hourani: Die Sozialproteste, die es bereits in Berlin, Leipzig, Erfurt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und andernorts gab, sind ein erster hoffnungsvoller Anfang. Die große Aufgabe ist jetzt, wirklich breite Bündnisse in möglichst vielen Städten aufzubauen, auch in den westlichen Bundesländern, und in den Gewerkschaften Druck zu machen, damit sie Teil der sozialen Proteste werden. Ein gutes Beispiel ist Erfurt, wo der DGB unter dem Motto „Nicht mit uns! Wir frieren nicht für Profite!“ mit zu Protesten aufgerufen hatte.

Wichtig wäre, die sozialen Proteste mit Streiks zu stärken. In den anstehenden Tarifrunden könnten die politischen und sozialen Forderungen aufgegriffen und gemeinsame Aktionen durchgeführt werden. Und es besteht die Möglichkeit, die Tarifbewegungen zusammenzuführen. Die Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie überschneidet sich zum Beispiel zeitlich mit der im Öffentlichen Dienst. Gemeinsame Aktionen sind also möglich.

UZ: Was gibt es sonst noch für Themen auf eurer Konferenz?

Christa Hourani: Wir werden die Krankenhausbewegung auswerten. Da haben wir sowohl aus Berlin, aus NRW und Dresden Kolleginnen auf der Konferenz, die über ihre Streikerfahrungen berichten. Eine Fragestellung wird auch sein, wie es weitergeht im Gesundheitswesen. Was braucht es für Forderungen, Impulse und Unterstützung? Wichtiges Thema ist auch der ökologische Umbau des Verkehrswesens und der Kampf gegen Personalabbau in der Automobilindustrie. Da kommen unter anderem Kollegen von Daimler, VW und Mahle, die über die Umgestaltung referieren und diskutieren werden. Und aus dem Sozial- und Erziehungsbereich kommen Kollegen, die sich mit anderen austauschen wollen.
Es wird also eine interessante Konferenz werden. Wir rechnen mit weit über 100 Teilnehmern und würden uns freuen, wenn auch viele Genossinnen und Genossen der DKP daran teilnehmen.

Weitere Infos über die Konferenz unter: vernetzung.org

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Über den Autor

Lars Mörking (Jahrgang 1977) ist Politikwissenschaftler. Er arbeitete nach seinem Studium in Peking und war dort Mitarbeiter der Zeitschrift „China heute“.

Mörking arbeitet seit 2011 bei der UZ, zunächst als Redakteur für „Wirtschaft & Soziales“, anschließend als Verantwortlicher für „Internationale Politik“ und zuletzt – bis Anfang 2020 – als Chefredakteur.

 

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"Gegenseitige Stärkung", UZ vom 23. September 2022



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