Die DEFA wäre 75 geworden

Geknicktes Jubiläum

Ob am Montag auf dem Studiogelände in Potsdam-Babelsberg das Knallen von Sektkorken zu hören war? Wenn ja, dürfte es eher dem letzten Drehtag irgendeines Hollywood-Blockbusters oder einer TV-Serie gegolten haben als dem Geburtstag der DEFA, die immerhin seit 1946 über mehr als vier Jahrzehnte eine der wichtigsten kulturellen Institutionen der DDR war. Und wer am 3. Oktober deren Untergang „feiert“, könnte mit ebenso viel Berechtigung an den 3. Oktober 1947 denken, den Tag der Uraufführung von Kurt Maetzigs Spielfilm „Ehe im Schatten“ in allen vier Berliner Sektoren. Das dem realen Schicksal des Schauspielers Joachim Gottschalk und seiner jüdischen Ehefrau nachgezeichnete antifaschistische Drama fand 12 Millionen (!) begeisterte Zuschauer und war zugleich prägend für die Ausrichtung der am 17. Mai 1946 in Potsdam-Babelsberg gegründeten Deutschen Film-AG, kurz DEFA.

Schon im November 1945 hatten Maetzig und andere aus der Emigration heimgekehrte Filmleute ein „Filmaktiv“ gegründet, um den raschen Wiederaufbau der Filmkultur in Deutschland zu betreiben. Anders als in den drei Westzonen, wo die Besatzungsmächte vor allem eigene Produktionen in die Kinos drückten und längst auf Ausgrenzung antifaschistischer Themen setzten, hatte die Sowjetische Militäradministration das „Filmaktiv“ von Anfang an unterstützt, und so erteilte nun der sowjetische Kulturoffizier Sergej Tjulpanow in den ehemaligen Althoff-Ateliers in Babelsberg der DEFA die „Lizenz zur Herstellung von Filmen aller Kategorien“. Allerdings ließ der längst entbrannte Kalte Krieg schon da kaum mehr Hoffnung auf einen gesamtdeutschen Aufbruch. Wolfgang Staudte berichtet von seinem Versuch, für sein Projekt „Die Mörder sind unter uns“ Geld beim US-Filmoffizier Peter van Eyck zu bekommen. Dessen lapidare Antwort: „In den nächsten fünf Jahren wird in diesem Land überhaupt kein Film gedreht, außer von uns.“ So drehte Staudte ihn 1946 noch vor deren Gründung als ersten DEFA-Film. Um die westdeutsche Bevölkerung vor dem Einfluss östlicher Filme abzuschotten, führte man 1961 sogar ein „Verbringungsverbotsgesetz“ ein, das einem geheim tagenden „Interministeriellen Ausschuss“ erlaubte, Filme aus osteuropäischen Ländern einzuziehen und zu vernichten – entgegen dem Zensurverbot des Grundgesetzes!

Doch international ließ sich diese Blockade immer schwerer durchdrücken. Festivalerfolge wie Konrad Wolfs „Lissy“ (3. Preis in Karlovy Vary 1957) oder „Sterne“ (der wegen BRD-Protests in Cannes als bulgarischer Film lief und den Preis der Jury erhielt) ebneten den Weg zu internationaler Anerkennung der DEFA, und Konrad Wolf war es auch, der mit „Solo Sunny“ 1980 den Fipresci-Kritikerpreis der Berlinale gewann und damit kurz vor seinem Tod im März 1982 einen letzten Glanzpunkt der DEFA-Geschichte setzte. Einer Geschichte, die ihre Höhen und Tiefen hatte – ganz wie ihr Staat DDR. Die anfangs so großzügige Hilfe des „großen Bruders“ Sowjetunion und Themen wie Antifaschismus und Widerstand bescherten den Babelsberger Produktionen ein festes Publikum, in dem die Erinnerung an die Nazizeit noch frisch war. Doch daneben stieg auch die Nachfrage nach leichter Unterhaltung und Komödien, wie sie das Fernsehen bot, das sich oft genug der Seichtigkeit der Westsender anzupassen schien. Aber auch negative Entwicklungen wie der Personenkult um Stalin und Probleme mit der sozialistischen Ökonomie färbten auf die Kulturpolitik der DDR ab.

Der DEFA-Außenhandel als eigenständiges Unternehmen konnte wegen des Devisenmangels der DDR westliche Filme nur begrenzt importieren, und Importe von Hollywood-Blockbustern wie „Towering Inferno“ scheiterten an langwierigen Verhandlungen, aber auch an dem gewachsenen Anspruch des Publikums an realistische Gegenwartsthemen aus eigener Produktion. Aus den Filmhochschulen in Moskau und Prag, aber auch der in Babelsberg, der ältesten auf deutschem Boden, kamen neue, weltoffene Talente, die vor allem nach dem Mauerbau 1961 selbstbewusst den Stil der Filme prägten – bis 1965 mit einem Schlag fast eine komplette DEFA-Jahresproduktion und einige Fernsehfilme in den Giftschrank verbannt wurden. Ausschlaggebend für diesen so genannten „Kahlschlag“ war eine Rede Erich Honeckers zum 11. Plenum des ZK der SED im November 1965, in der er den Künstlern und den Kontrollgremien in der DDR unter anderem westlichen Einfluss, „Nihilismus“ und „Pornografie“ vorwarf. Von diesem Rückschlag, dem mit der Ausweisung Wolf Biermanns 1976 und den Protesten dagegen ein weiterer folgte, hat sich die DEFA-Filmproduktion bis 1989 nur teilweise erholt.

Nach der „Wende“ 1989 konnten nur wenige DDR-Kulturschaffende im „neuen“ Deutschland Anschluss finden, so zum Beispiel Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase oder der frisch aus der Hochschule kommende Andreas Dresen. Lothar Warneke, einer der erfolgreichsten Regisseure der letzten DEFA-Jahre, der 1988 mit „Einer trage des andern Last“ ein Plädoyer für religiöse Toleranz vorgelegt hatte, erhielt danach für keines seiner Projekte mehr Förderung; weniger bekannte hatten überhaupt keine Arbeit im Filmbereich mehr. Vielfach ausgezeichnete Dokumentarfilmer wie Karl Gass oder Gitta Nickel waren nach 1989 praktisch abgemeldet. Filme von Weltruf wie die mehr als vier Jahrzehnte dauernde Langzeitreihe „Die Kinder von Golzow“ von Winfried und Barbara Junge fanden 2007 trotz engagierter neuer Produzenten ihr Ende, der Dokumentaristen-Nachwuchs muss sich mit den schon immer darbenden bundesdeutschen Kollegen um die knappen Mittel des Fernsehens zanken. Den einst volkseigenen Betrieb DEFA mit seinen mehr als 700 Spiel- und ca. 3000 Animations-, Dokumentar- und Kurzfilmen verscherbelte 1990 die „Treuhand“ an einen französischen Wasserkonzern unter Leitung eines deutschen Oscar-Preisträgers, der befand: „Der Name DEFA riecht nicht gut.“ Wie gut, dass dieses Kulturerbe nicht nur von Herrn Schlöndorff bewahrt wird.

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"Geknicktes Jubiläum", UZ vom 21. Mai 2021



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