Wolfgang M. Schmitt und Ole Nymoen rechnen mit Influencern ab

Glatt wie der Touchscreen

Die beiden Kulturjournalisten Wolfgang M. Schmitt und Ole Nymoen haben jene Branche analysiert, die ihren Lebensunterhalt damit bestreitet, ihr Leben in Instagram-Storys zu verwursten und dabei Hautcremes in die Kamera zu halten oder Fotos vom Badeparadies in Fernost zu teilen. Die Autoren gehen dabei der Genese der Influencer nach, die nicht etwa Promizöglinge sind oder überhaupt schlicht Milliardärsnachwuchs. Denn neben den Schauspielerinnen und Popsängern, die auf Instagram zeigen, dass ihr Porridge zum Frühstück das CO2-freieste aller Zeiten ist, sind die hauptberuflichen Influencer jene, die den Algorithmus von Apps wie Instagram und TikTok antizipierten und Trends setzten oder schlicht Glück hatten, dass ihre Inhalte (Content) teilweise ein Millionenpublikum erreichten. „Während in der Filmbranche erfolgreiche Jungdarsteller häufig aus Schauspieler- oder Künstlerdynastien stammen, hat kaum ein Influencer berühmte Eltern. Sie kamen aus dem Nichts“, schreiben Nymoen und Schmitt. Sie kamen und lösten die nur halb funktionierenden Testimonials ab, jene Werbeikonografie, „die vor allem von der Glaubwürdigkeit ihrer Protagonisten leben“. Haribo-Gottschalk wird genannt – und wer an Sky du Mont denkt, der denkt auch ans Schnapspralinen-Mümmeln. Das Problem, das die Werbeindustrie mit dieser Strategie hat, ist schlicht die Teiligkeit zwischen dem, was konsumiert werden will (das TV-Programm) und dem, was für eine Pinkelpause ausgeblendet wird (der Werbeblock).

Hier schlägt die Stunde der Influencer. „Die Influencer sind Fürsprecher des Subjektivierungsregimes von Plattformen, die Subjekte nur schätzen, insofern sie Produzenten und Konsumenten, noch besser: Prosumenten, sind.“ Jene Prosumenten halten den fettfreien Joghurt in die Kamera, den sie auch selber verputzen und für dessen Herstellerfirma sie gleichzeitig Werbung machen und daran verdienen. Tradiert wird dabei ein protestantisch-calvinistisches Menschenbild, das alles zum Leistungsansporn macht, sei es körperlichen Schönheitsidealen zu entsprechen oder reaktionären Geschlechterrollenbildern nachzueifern: „Die Haut und der Touchscreen sind gleich glatt.“

Nymoen und Schmitt gehen der Perfidität einer Berufsgruppe auf den Grund, deren Oberfläche oft demokratieheuchelnd (alles wird geteilt, sprich: „gesharet“) und durch ein fortschrittliches Menschenbild (wie Feminismus und Antirassismus) aufgehübscht ist, während dahinter reine Profitinteressen stecken: als Beauty-Influencerin von einer fehlenden Managerinnenquote reden, während man sich in ein von Arbeitssklaven hochgezogenes Edelhotel nach Dubai einladen lässt.

Schmitt ist bekannt aus seiner Filmanalyse auf YouTube und er betreibt zusammen mit Ole Nymoen den Podcast „Wohlstand für alle“. Selber geben sie bei Letzterem an, dass sie von Suhrkamp, dem Verleger ihres Buchs, unterstützt werden. Und auch das Cover des Buchs zeigt, wie der Influencer-Körper durch seine Präsenz das klassische Violett des immer schon gewesenen Wissenschaftsverlags verdrängt. Aus jenen Bändchen sammeln die beiden Autoren ihr Weltwissen zusammen, zitieren auch viel Marx, mal Adorno, paraphrasieren Foucault und nutzen Begriffe der Regulationstheorie. Was wirkt wie der Zugriff auf ein humanistisches Erbe, um der fortschreitenden Verblödung entgegenzuwirken, hat letztlich einen Impetus des geistigen Muckizeigens. Kein Wunder, dass in „Influencer“ unnötig minutiös zu Anfang jedes Kapitels ein Video oder Foto schriftlich auserklärt wird, aber kein Wort darüber verloren wird, wie aus den Widersprüchen der Verdummungsmechanismen Kapital für die Kapitallosen geschlagen werden kann.

Die Lektüre des Buches lohnt, reicht aber nicht. Spätestens nach dem Meckern kommt die Praxis und nach dem Lesen sollten sich alle Gedanken machen, wie sie es schaffen, marxistisch-leninistische Influencer zu werden. Nötig ist es.


Wolfgang M. Schmitt/ Ole Nymoen: Influencer. Die Ideologie der Werbekörper,
Suhrkamp 2021, 192 Seiten, 15 Euro (broschiert), 13,99 Euro (eBook).


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Über den Autor

Ken Merten (seit 1990) stammt aus Sachsen. Er hat in Dresden, Hildesheim und Havanna studiert. Seine Schwerpunkte sind die Literatur der Jetztzeit, Popkultur und Fragen von Klassenkampf und Ästhetik. 2024 erschien sein Debütroman „Ich glaube jetzt, dass das die Lösung ist“ im Berliner XS-Verlag.

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"Glatt wie der Touchscreen", UZ vom 16. April 2021



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