Politprominenz macht den Evangelischen Kirchentag zum Feldgottesdienst

Helm ab zum Gebet

Am vergangenen Sonntag endete der 38. Deutsche Evangelische Kirchentag, der dieses Jahr in Nürnberg stattfand. Die Kirchenoberen hatten, wie auf den Podien, in den Arbeitsgruppen und Gottesdiensten stets betont wurde, dem Kirchentag als zentrales Thema die Suche nach einer neuen Zielbestimmung „christlicher Friedensethik“ aufgegeben. Noch auf keinem Kirchentag zuvor gab es ein solches Schaulaufen der Berliner Politprominenz, der zum Krieg in der Ukraine immer nur die bekannten Rezepte zu dessen Verlängerung einfielen.

Den Auftakt machte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD), der in seiner Eröffnungsansprache dem Kirchentagsmotto „Jetzt ist die Zeit“ den Beigeschmack eines Feldgottesdienstes verlieh. Jetzt sei nämlich „die Zeit für Waffen“. In diesem Stil ging es dann weiter: Außenministerin Annalena Baerbock, die absolut klimaneutral mit dem neuen Großraumjet A350 der Luftwaffe (Verbrauch pro Flugstunde: 5,8 Tonnen Kerosin) in Nürnberg einschwebte, warb auf dem Podium zusammen mit Ex-Bundespräsident Joachim Gauck für die bedingungslose Unterstützung der Ziele des ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenski (Gauck: „Was denn sonst?“).

Immerhin hatte Baerbock, die noch vor wenigen Tagen die Verriegelung der EU-Außengrenzen mitbeschlossen hatte, ein Wort für die Flüchtlinge übrig, die in Zukunft an Stacheldraht und Zäunen scheitern werden. Man müsse eben „die bittere Wahrheit“ in Kauf nehmen, „dass es für einige auch schlechter (geworden) ist“. Teilnehmer des Kirchentags hatten zuvor zum „EU-Asylkompromiss“ eine Resolution verabschiedet, in der vom „Ausverkauf der Menschenrechte“ die Rede ist.
Ein anschauliches Beispiel christlicher Nächstenliebe lieferte in diesem Kontext auch Bundeskanzler Olaf Scholz, der nicht nur – entgegen seiner sonstigen Vergesslichkeit – persönliche Bibelkenntnisse prahlerisch in den Vordergrund hob: „Ich zähle zu den wenigen Deutschen, die Altes und Neues Testament gelesen haben.“ Er gab auch ein Witzchen über Flüchtlinge zum Besten, über das angesichts der angeschwemmten Leichen an den Südküsten Europas allerdings nur er selbst lachen konnte: „Deutschland muss einen großen Strand am Mittelmeer haben. Denn tatsächlich kommen mehr Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa kommen, in Deutschland an als in den Mittelmeer-Anrainerländern im Einzelnen.“

Das unselige Panoptikum auf den Hauptbühnen des Kirchentags vervollständigte, natürlich in Uniform, der ranghöchste Soldat der Bundeswehr, Generalinspekteur Carsten Breuer. Er ließ die Zuhörer wissen, ohne deutsche Waffen wäre „der Krieg vorbei, aber das Leiden ginge weiter“. Die Generalsekretärin des Kirchentages, Kristin Jahn, zeigte sich wegen der nur vereinzelten Buhrufe und Missfallensäußerungen auf den Großveranstaltungen angenehm überrascht: „Einige Politiker wären früher vielleicht eher ausgebuht worden“, aber „ist vielleicht auch gut, dass sich da was ändert“.

Während in den Arbeitskreisen durchaus heftig um den richtigen Weg zum Frieden gerungen wurde, demonstrierte die Kirchenführung medienwirksam den Schulterschluss mit Waffenliebhabern und Kriegsgängern. Der Gleichklang hat Tradition. Vor 75 Jahren, auf dem ersten Kirchenkonvent der deutschen Protestanten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, hieß es unter dem Eindruck des millionenfachen Tods, des Leids und der Zerstörung noch: „Auf der Gewalt ruht kein Segen und Kriege führen nur tiefer in die Bitterkeit, Hass, Elend und Verwahrlosung hinein. Die Welt braucht Liebe, nicht Gewalt, sie braucht Frieden, nicht Krieg.“ Die während der beiden Weltkriege von der Kirchenleitung vertretene Militärdoktrin zur Zulässigkeit „gerechter Kriege“ verschwand für 50 Jahre in der synodalen Schublade. Aber schon vor der „humanitären Mission“ der NATO im Kosovo 1999 hieß es im Strategiepapier der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), „der Einsatz militärischer Gewalt“ sei eine „offenzuhaltende, aber nur mit größter Zurückhaltung (…) in Anspruch zu nehmende Handlungsoption“.

Überraschend ist das „Ja“ der Kirchenleitung zu Waffenlieferungen in die Ukraine daher nicht. Kritischen Warnern vor der weiteren Gewalt-eskalation, wie dem Friedensbeauftragten der EKD, Friedrich Kramer, wehte der Wind ins Gesicht. „Wer zur Unzeit vom Frieden redet, wer in schlechten Zeiten eine gute Botschaft verkündet, der muss mit Widerstand, Spott und Verachtung rechnen“, so Kramer. Andere blieben dem Kirchentag gleich fern. Die evangelische Theologin Margot Käßmann nahm den Widerstand der EKD gegen eine geplante Konzertlesung mit dem Liedermacher Konstantin Wecker unter dem Motto „Entrüstet Euch! – Von der bleibenden Kraft des Pazifismus“ zum Anlass, um abzusagen.

Über den Autor

Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler.

Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr.

Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher laden wir Sie ein, die UZ als Wochenzeitung oder in der digitalen Vollversion 6 Wochen kostenlos und unverbindlich zu testen. Sie können danach entscheiden, ob Sie die UZ abonnieren möchten.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Helm ab zum Gebet", UZ vom 16. Juni 2023



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Baum.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit