Krankenhausreform löst vorhandene Probleme nicht konsequent und schafft neue

Herumdoktor Lauterbach

Sie sind ein in allen Kliniken bekanntes Ärgernis mit negativen Auswirkungen für Patienten und Personal: Die Fallpauschalen, auch DRGs genannt. Durch die Finanzierung durch Fallpauschalen erhalten Krankenhäuser nicht ihre tatsächlichen Behandlungskosten erstattet, sondern nur einen fixen Preis pro Behandlung. Das setzt Fehlanreize, die teilweise zur Unterversorgung und teilweise zur Überversorgung mit medizinisch unnötigen Behandlungen führen.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat diese Fallpauschalen mit zu verantworten. Zusammen mit seiner SPD-Kollegin und damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt hat er sie den Krankenhäusern verordnet – das war um die Jahrtausendwende herum. Zwanzig Jahre später gründete Lauterbach angesichts des Unmuts und Unruhe in den Fachverbänden und Krankenhäusern einen Arbeitskreis („Regierungskommission“), der die Suppe, die er eingebrockt hat, wieder auslöffeln soll. Doch schon die Besetzung des Gremiums zeigt, wo es langgehen soll: Von 16 Mitgliedern sind nur fünf, an leitender Stelle – klinisch orientiert. Gesundheitsökonomen wie Boris Augurzky, Reinhard Busse oder die Vorsitzende des Qualitäts- und Klinischen Risikomanagements der SANA AG, Heidemarie Haeske-Seeberg, haben eine deutliche Mehrheit.

Das Bündnis „Krankenhaus statt Fabrik“ und die Gewerkschaft ver.di fordern, die eine Struktur der Gesundheitsversorgung zu schaffen, in der das Wohl der Patienten im Mittelpunkt steht bei guten Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten. Voraussetzung dafür wäre, sich vom finanziellen Korsett der Krankenhausfinanzierung und dem Ziel eines Ausbaus privatwirtschaftlicher Gewinnmöglichkeiten zu verabschieden. Der Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen (Organisation privatwirtschaftlicher Arztpraxen und Medizinischer Versorgungszentren, MVZ) für die ambulante Patientenversorgung solle abgeschafft und so der Weg frei gemacht werden für eine konsequente gemeinsame Planung von ambulanter und stationärer Versorgung als Aufgabe der Länder, also der öffentlichen Hand. Daran müssten alle Betroffenen demokratisch beteiligt werden, auch an der Bedarfsermittlung. Es wäre sinnvoll, ambulante Versorgungszentren flächendeckend über die Versorgungsregionen zu verteilen sowie an die Krankenhäuser personell und organisatorisch anzubinden – mit eigenen diagnostischen Einrichtungen, Eingriffsräumen und Überwachungsbetten, mit ärztlicher und pflegerischer 24-Stunden-Präsenz an sieben Tagen in der Woche und als erste Anlaufstellen für Notfallversorgung vor allem in ländlichen Regionen. In der DDR waren das die Polikliniken und Ambulatorien. Doch die von der Regierungskommission geplanten Krankenhäuser des untersten „Levels I,i“ sind eher ein Einfallstor für Geschäftemacherei von Niedergelassenen oder gar Kapitalgesellschaften.

Statt Schließung weiterer Kliniken und Bettenabbau muss Ersatz- und Reservekapazität geschaffen, reale Verweildauer der Patienten im Krankenhaus, demographische Entwicklung und die Erfahrungen aus der Coronapandemie einbezogen werden. Eine Entlassung aus dem Krankenhaus darf nur zwischen Arzt und Patient entschieden werden – ohne bürokratische Vorgaben oder Sanktionen.

Eine Obergrenze an zu behandelnden Patienten ist untragbar und führt zusammen mit fragwürdigen Qualitätsanforderungen zu Patientenselektion und Abweisen von Behandlungsbedürftigen. Die beste Garantie für eine gute Qualität in der Versorgung sind mehr gut ausgebildete Fachkräfte und bessere Arbeitsbedingungen, die Zeit und Zuwendung für die Patienten ermöglichen. Statt Einführung von Bewertungsrelationen, Fallpauschalen für die Pflege – die nur den ökonomischen Druck erhöhen –, fordert ver.di die rasche und konsequente Einführung der PPR 2.0, der bedarfsgerechten Personalbemessung für den Pflegedienst, die von ver.di gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat entwickelt wurden.

Nachdem festgestellt ist, wo wie viele Kliniken mit welchen Fachabteilungen und Leistungsgruppen auf welchem Level (Behandlungsniveau) erforderlich sind, gehören alle notwendigen Kosten auch bezahlt. Das heißt die Fallpauschalen gehören endlich abgeschafft zugunsten einer Selbstkostendeckung 2.0. Stattdessen plant Lauterbach ein Herumdoktern mit Hybrid-DRGs, Vorhaltekosten und Pflege-DRGs. Selbst die AOK fordert in ihrem „Statement zu den Eckpunkten der Krankenhausreform“ vom 23. Mai: „Wer kein zweites Desaster wie beim Pflegebudget mit endlosen Budgetberatungen und erhöhter Insolvenzgefahr bei den Krankenhäusern erleben will, muss hier die Fixierung der Finanzierung an den den einzelnen Behandlungsfall beenden.“

Dazu kommt, dass die notwendigen Investitionskosten durch die Bundesländer geleistet werden müssen. Denn weil notwendige Investitionskosten nicht finanziert werden, wird Geld zweckentfremdet, zu Lasten der Patientenversorgung und des Personals, stellt ver.di fest. Damit müsse Schluss sein. „Bund und Länder müssen schnell und entschlossen handeln, um das sich anbahnende unkontrollierte Kliniksterben zu verhindern und eine leistungsfähige und wohnortnahe Versorgung bei guten Arbeitsbedingungen sicherzustellen“, heißt es dazu von ver.di. Fazit: Gewinne zu erwirtschaften auf Kosten von Patienten und Personal – das gehört wieder verboten.

Dokumentiert
Keine Schließungen! Kein Bettenabbau!
Auszug aus der Bewertung der Krankenhausreform durch „Krankenhaus statt Fabrik“
Die Kommission will kleine Krankenhäuser schließen oder in sog. „Level Ii-Häuser“ umwandeln. Wir sagen: Das sind dann keine Krankenhäuser mehr, sondern Pflegeheime mit etwas zusätzlicher ärztlicher Betreuung, jedoch ohne Pflegepersonalbemessung, wie sie in Krankenhäusern gilt. Sie haben keine Notaufnahmen und keine Überwachungsbetten. Sie nützen nichts für die Notfallversorgung ländlicher Gebiete. Mit dem Konzept der Regierungskommission werden sie zu einem Einfallstor für private Geschäftemacherei von niedergelassenen Ärztinnen, oder sogar für Kapitalgesellschaften. Damit erfolgt ein weiterer Schritt von Einrichtungen der Daseinsvorsorge in öffentlicher Trägerschaft hin zu Privatisierungen und zum privaten Wirtschaften.
Wir fordern: Ambulante Versorgungszentren als Einrichtung der Krankenhäuser und betrieben mit gemeinsamem Personal. Sie müssten gleichmäßig in der Versorgungsregion verteilt sein und ermöglichen eine bessere Qualität sowie den Erhalt der Flächendeckung. Solche ambulanten Versorgungszentren wären erste Anlaufstellen für die Notfallversorgung. (…)
Die Kommission will keine Erweiterung der Bettenkapazitäten in den verbleibenden Krankenhäusern, auch wenn viele kleine Krankenhäuser geschlossen werden.
Wir sagen: Gegen einen weiteren Bettenabbau sprechen folgende Argumente:
1. Die Verweildauer wird derzeit falsch berechnet. Durch die Verwendung der „Mitternachtsstatistik“ fällt bei jedem Patienten der Entlassungstag statistisch unter den Tisch. Das macht ca. 15 Prozent mehr Belegungstage aus. Damit ist auch die Auslastung der Krankenhausbetten höher als in den Statistiken ausgewiesen.
2. Die rechnerisch geringere Belegung von Krankenhaus-Planbetten als vor der Pandemie beweist nicht, dass es zu viele Betten gibt, wie von Gesundheitsökonomen behauptet. Vielmehr gibt es zu wenig Personal. An sehr vielen Kliniken sind die „betreibbaren“ Betten voll belegt und Patientinnen müssen abgewiesen werden.
3. Hinzu kommt, dass die Entlassungsentscheidung immer auch eine ökonomische Entscheidung ist. Schon jetzt ist der ökonomische Druck hoch, Patient*innen möglichst früh zu entlassen, denn kürzere Liegezeiten bedeuten im DRG-Fallpauschalensystem weniger Kosten bei gleichen Einnahmen und damit mehr Gewinn. Man muss gar nicht die „blutige“ Entlassung bemühen. Es reicht schon die Belastung der Patienten und ihrer Angehörigen, die Verschlechterung des Gesundheitszustands bei mangelnder Nachversorgung und die Gefahr der Wiederaufnahme.
4. Ein weiterer Aspekt ist die demografische Entwicklung, die in den nächsten Jahren/Jahrzehnten nicht zu einer Minderung des Bettenbedarfs führen wird.
5. Und zuletzt sollte die Corona-Pandemie deutlich gezeigt haben, dass ein weiterer Bettenabbau hochriskant ist.
Wir fordern: Kein weiterer Bettenabbau, Schaffung von Ersatz- und Reservekapazitäten. (…)
Die vollständige Bewertung ist online abrufbar unter: krankenhaus-statt-­fabrik.de

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"Herumdoktor Lauterbach", UZ vom 2. Juni 2023



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