Verdeckte Ermittler in Hamburgs linker Szene

Hilfsbereit, aktiv, umgänglich und offen

Von Birgit Gärtner

Sie beteiligen sich an Versammlungen oder Gruppensitzungen, vornehmlich still und beobachtend, und zeichnen die Zusammenkünfte heimlich auf. Das Augenmerk richten sie auf Personen, geplante Aktionsformen und -orte und geben diese Informationen an ihre Auftraggeber weiter: Geheimdienste in Land und Bund. Dafür kassieren sie ein hübsches Sümmchen. Wenn es gut läuft, merkt es niemand. Wenn es schlecht läuft, klackt irgendwann der im Rucksack deponierte Kassetten-Recorder, weil er nicht früh genug ausgeschaltet wurde. Da Kassetten-Recorder nicht mehr in Mode sind, ist das Risiko also überschaubar.

Das jedenfalls ist die vorherrschende Meinung über Spitzeltätigkeit in der Polit-Szene. Nun wissen wir spätestens seit dem NSU-Prozess, dass diese Vorstellung bei weitem an der Realität vorbei geht, und vom Staat bezahlte Personen zu aktiven Kadern werden, die nicht heimlich, still und leise beobachten, sondern eingreifen und radikalisieren. Und dabei nicht nur ihr Arbeitsfeld, sagen wir mal, erweitern, sondern ganz klar Rechtsbruch begehen.

Das ist allerdings nicht nur in der rechten Szene so, sondern auch in der Linken. Vor knapp einem Jahr wurde in Hamburg Iris P. enttarnt: als verdeckt ermittelnde Polizeibeamtin, die zur selben Zeit und am selben Ort sowohl für das Landes- als auch das Bundeskriminalamt tätig war. In dem Zusammenhang ging sie weit über den Status einer Beobachterin hinaus: sie unterhielt private Beziehungen, nahm an privaten Zusammenkünften in privaten Räumen teil, führte mindestens eine Liebesbeziehung und machte Radio. Konkret: sie engagierte sich beim Freien Sender Kombinat (FSK), wo sie u. a. auch auf Sendung ging.

Dieser Tage wurde eine weitere verdeckte Ermittlerin in Hamburg enttarnt: Maria B., die vermutlich in der Zeit von 2009 bis 2012 in der autonomen, insbesondere der anti-rassistischen Szene eingesetzt war. Wie Iris P. war sie als politisch völlig unbedarfte Neu-Hamburgerin in einem offenen Szene-Treff aufgetaucht. Wie Iris P. hatte auch sie eine herzzerreißende Familiengeschichte zu erzählen, die sie von zuhause vertrieben hatte, und über die sie nicht gern sprechen mochte. Das ist ganz praktisch, denn wer nicht über seine Vergangenheit sprechen mag, und zudem in der Vergangenheit mit Politik nichts am Hut hatte, muss auch keine politische Vita, keine Verwandten, Bekannten, schon gar keine gemeinsamen, vorweisen. Kann sich aber offener Ohren, offener Herzen und offener Arme gewiss sein.

Einsätze in rechtlicher Grauzone.

Wie Iris P. zielte sie auf persönliche Kontakte ab, überschritt private Grenzen und führte mindestens eine Liebesbeziehung. Wie Iris P. wurde sie sehr schnell sehr politisch umtriebig. Während es aber Iris P. bei Aktivitäten vor Ort beließ, war Maria B. international tätig: sie drang tief in Strukturen der linken Szene Hamburgs ein und beteiligte sich vielfältig an z. T. auch strafrechtlich relevanten Aktionen: z. B. daran, ein Plakat an einem besetzten Haus anzubringen. Außerdem ermittelte sie mindestens in Dänemark (Gegenproteste gegen die Klimakonferenz 2009), Griechenland (No Border Camp 2009 auf Lesbos) und Belgien (No Border Camp 2010 in Brüssel). Wie Iris P. zog Maria B. sich aus fadenscheinigen Gründen irgendwann aus der Szene zurück und wurde Jahre später zufällig enttarnt.

In Brüssel war sie übrigens nicht die einzige verdeckte Ermittlerin, die eine sehr freie Interpretation ihres Auftrags und der EU-Reisefreiheit an den Tag legte. Außer ihr agierte dort noch Simon B. ein verdeckter Ermittler aus Heidelberg, der im Dezember 2010 enttarnt wurde, nachdem er etwa ein Jahr lang die linke Hochschulszene in Heidelberg ausgekundschaftet hatte. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe kam am 26. August 2015 zu dem Urteil, dass dieser Einsatz rechtswidrig gewesen sei.

2010 wurde in Hamburg der verdeckte Ermittler Yusuf K. enttarnt, der gezielt auf das linke Zentrum B5, bzw. die lokale Gruppe der Karawane für die Rechte von Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten angesetzt war. Zirka fünf Jahre lang erfüllte er ebenfalls sehr aktiv und mit hohem persönlichen Einsatz seinen Auftrag – auch wenn er, nach allem was bekannt ist, von einer Liebesbeziehung absah. Yusuf K. brauchte noch nicht einmal eine rührselige Geschichte. In einem Umfeld, in dem persönliche Biographien, die unter die Haut gehen, Alltag sind, fällt es gar nicht so sehr auf, wenn jemand keine Gewalt- oder Fluchtgeschichte zu erzählen hat. Außerdem sind die Aktiven für jede und jeden dankbar, die oder der mit Engagement, Empathie und Kompetenzen wie z. B. Fremdsprachen die gute Sache unterstützt. Und das tat Yusuf K.: er unterstützte, organisierte und improvisierte. Ohne sein Zutun wäre u. a. das Nachbarschaftsfest in Hamburg-Wilhelmsburg im Rahmen der Karawane-Tour 2007 nicht möglich gewesen. Als einer von wenigen Aktiven der Karawane-Gruppe Hamburg beteiligte er sich nicht an der Rundreise im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm, sondern hielt den Betrieb des linken Zentrums mit aufrecht, bereitete praktisch das Fest vor, z. B. indem er daran mitwirkte, das Transportfahrzeug vom Autoverleih zu beschaffen und die Logistik zu gewährleisten. Bei dem Fest selbst war u. a. er für die Technik zuständig.

Yusuf K. war nicht nur äußerst hilfsbereit, sondern auch sehr umgänglich und offen. Er gehörte beim Bierabend genauso dazu wie beim Kickerturnier, und stieß mit den anderen Aktiven auf seinen Geburtstag an. So schuf er Vertrauen, und bekam Einblick nicht nur in die Probleme, Denk- und Arbeitsweisen der Aktiven, sondern auch in die Überlebensstrategien der (illegalisierten) Asylsuchenden. Wie an keinem anderen Ort in der Stadt, bzw. in diesem Land, sammelten sich in der Karawane Flüchtlinge, die um ihr Bleiberecht kämpften und z. T. in der Illegalität lebten. Wie z. B. der Kurde Engin Celik, ein Karawane-Aktivist, der zu dem Zeitpunkt zeitweilig illegalisiert in der Hansestadt lebte, und zu dem Yusuf beste Kontakte hatte. Im Falle Iris P. schoben sich die Behörden gegenseitig die Schuld in die Schuhe, und Innensenator Michael Naumann (SPD) wies die Verantwortung ganz von sich, da er zu dem Zeitpunkt ihres Einsatzes noch nicht im Amt war. Aber der Fall Maria B. zeigt, dass auch unter seiner politischen Verantwortung eklatante Rechtsbrüche verdeckt tätiger Ermittlerinnen und Ermittler polizeilicher Alltag zu sein scheinen.

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"Hilfsbereit, aktiv, umgänglich und offen", UZ vom 4. September 2015



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