Zur Ideologie der Sozialpartnerschaft

In den eigenen Reihen

Wer solche Berater hat, braucht keine Feinde mehr. Die zum Jahresstart bekräftigte Grundlinie der im Gewerkschaftslager einflussreichen Hans-Böckler-Stiftung (HBS) und ihres wissenschaftlichen Instituts IMK ist eindeutig: Das Schlimmste ist überstanden, die Inflation ist blöd, aber kein Drama und wird bald zurückgehen. Solange Gewerkschaften, Kapital und Regierung an einem Strang ziehen, wird die Lage beherrschbar und die Zukunft prima bleiben, heißt es vom IMK.

Wie mit einer Gebetsmühle wird diese Position seit Jahren vorgetragen, umrahmt von der Aura wissenschaftlicher Erkenntnis. Und sie findet inner- und außerhalb der Gewerkschaften große Resonanz.

Dabei hat sie sich wissenschaftlich total blamiert: Bevor es so richtig losging mit den rasanten Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln, kam mitten in die Tarifrunden 2021 hinein von der HBS schon einmal eine ähnliche Prognose. Die Inflation werde bald wieder verschwinden und selbst der Begriff sei eigentlich unangemessen. Diese Haltung hat damals zu einer Dämpfung der Kampfentschlossenheit und damit dazu beigetragen, dass die Lohnabschlüsse weit zurückblieben hinter den dann ab 2022 losgaloppierenden Preisen.

Die Sozialpartnerschaftsideologie im Gewerkschaftslager kostet. Wer an sie glaubt, verzichtet Monat für Monat auf Tariflohnerhöhungen, die bei kämpferischer Tarifpolitik möglich gewesen wären. Dabei geht es um Milliarden von Euro an Lohnzahlungen. Eine Wende zu einer klassenbewussten Orientierung ist nötig.

Um eine solche Wende zu einer klassenkämpferischen Tarifpolitik zu erwirken, wird es nicht zu vermeiden sein, Sozialpartnerschaftsideologen in den eigenen Reihen zu bekämpfen. Sie käuen inzwischen in ihren Publikationen sogar das Märchen von der Lohn-Preis-Spirale wieder, statt auf die Tatsache der real vorhandenen Profit-Preis-Spirale aufmerksam zu machen. Die nämlich wird inzwischen selbst von bürgerlichen Medien und Instituten zugegeben.

Lohnerhöhungen, die den Reallohnverlust der letzten beiden Jahre wenigstens ausgleichen, müssen für die Jahre 2023 und 2024 im zweistelligen Bereich liegen – da beißt keine Maus den Faden ab. Um solche Ziele überhaupt zu einer gewerkschaftlichen Forderung machen zu können, muss das, was uns da von sozialpartnerschaftlich orientierten Pseudowissenschaftlern als Beruhigungspille präsentiert wird, deutlich zurückgewiesen werden. Diese „Experten“ müssen als das benannt werden, was sie sind: Gegner innerhalb der eigenen Gewerkschaftsreihen.

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"In den eigenen Reihen", UZ vom 27. Januar 2023



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