Der Bonner Alleinvertretungsanspruch scheiterte bei der Europameisterschaft 1969 in Athen

In letzter Sekunde doch angetreten …

Von Klaus Huhn

Dieser Tage wurde in Olympia traditionell das olympische Feuer entzündet. Ein riesiger Parabolspiegel verwandelte die Sonnenstrahlen in die Flamme. Diesmal wird das Feuer 10 000 km im Flugzeug zurücklegen und 20 000 km von Fackelläufern durch Brasilien getragen. Ein einziges Mal geriet diese Zeremonie in Gefahr – als die BRD den europäischen Leichtathletikverband erpressen wollte und damit kläglich scheiterte. Da sich der bundesdeutsche IOC-Präsident Thomas Bach beim Entzünden des Feuers 2016 in Olympia feiern ließ, kann der Chronist nicht darauf verzichten, daran zu erinnern …

In den sechziger Jahren war der renommierte DDR-Mittelstreckenläufer Jürgen May in seinem Heimatland mit einer Startsperre belegt worden, weil er einen DDR-Athleten überreden wollte, im Finale die Schuhe zu wechseln und damit auch die Firma, die sie hergestellt hatte. Die Europäische Föderation reduzierte die Strafe, hielt sie aber für begründet. Jene Schuhfirma organisierte vermutlich durch einen gefälschten Pass seinen Wechsel in die BRD.

Als es zu den nächsten Europameisterschaften 1969 in Athen ging, nominierte der Westverband ihn, obwohl seine Strafe noch nicht abgelaufen war. Bonn hatte diese Aktion unter dem Aspekt des Alleinvertretungsanspruchs gefordert und der Präsident des bundesdeutschen Verbandes, der Arzt Dr. Danz, sie befolgt. In Athen berief sich der europäische Verband auf die Sperre und ließ May nicht starten.

Daraufhin geschah Folgendes: Zu einem in der Geschichte der internationalen Leichtathletik beispiellosen Skandal kam es wenige Minuten nach der Eröffnung der Europameisterschaften, als die westdeutsche Mannschaft mitteilte, dass sie an den Wettkämpfen nicht teilnehmen werde. Dem waren hektische Stunden vorausgegangen. Mit der Drohung glaubte man, die IAAF erpressen zu können. „Das wagen die sich nicht“, ließen westdeutsche Funktionäre verlauten, und die Bonner Regierung beeilte sich erklären zu lassen, dass sie die IAAF-Entscheidung „bedaure“, womit die Haltung der Mannschaftsleitung In Athen von höchster Stelle nicht nur sanktioniert, sondern noch bestärkt wurde, Die IAAF aber dachte nicht daran, sich erpressen zu lassen, und selbst eine in letzter Minute zum IAAF-Präsidenten Marquess of Exeter entsandte „Delegation“ richtete nichts aus.

Ich war damals in Athen und hatte ein privates Gespräch mit dem Europapräsidenten der Leichtathleten, dem niederländischen Kohlegrubenbesitzer Adriaan Paulen. Er sagte mir damals: „Wir haben Beschlüsse über den Verband der DDR gefasst, die oft die Grenzen überschritten. So haben wir sie zu einem Europapokal-Wettkampf in Leipzig veranlasst, hinter dem Schild ‚Ostdeutschland’ einzumarschieren. Wir waren ziemlich sicher, dass sie auf ‚DDR’ bestehen würden, aber die Funktionäre hielten sich an unseren Beschluss. Nun werden wir also die BRD mit gutem Gewissen zwingen, sich an unsere Entscheidungen zu halten!“

Um der Erpressung einen letzten Druck zu verleihen, erschienen westdeutsche Athleten vor Beginn der ersten Wettkämpfe nicht an den Stellplätzen, was jedoch auf die IAAF-Oberen keinerlei Eindruck machte.

In diesem Augenblick schaltete sich die griechische Regierung ein und kündigte an, dass das olympische Feuer für die Spiele 1972 in München keinesfalls in Olympia entzündet würde. In letzter Sekunde entschloss sich der bundesdeutsche Verband, die Staffeln starten zu lassen.

So durfte das Feuer, das in München aufflammte, in Olympia entzündet werden …

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"In letzter Sekunde doch angetreten …", UZ vom 29. April 2016



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