Wie sich die VVN-BdA für die Zukunft aufstellt – ein Gespräch mit dem neuen Bundesvorsitzenden

Jünger, größer, offen, klar

UZ sprach über die Zukunft und das Selbstverständnis der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) mit Florian Gutsche, der auf dem Bundeskongress am 24. und 25. April gemeinsam mit Cornelia Kerth zum Bundesvorsitzenden gewählt wurde.

UZ: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung.“ Was sind die Wurzeln des Nazismus?

180502 gutsche - Jünger, größer, offen, klar - Antifaschismus - Politik
Florian Gutsche

Florian Gutsche: Darauf wäre eine sehr ausführliche Antwort nötig. Es gibt ja unterschiedliche Ansätze in der Faschismustheorie und keine abgeschlossene Antwort. Sicherlich spielt der Kapitalismus eine Rolle, sicherlich auch antisemitische Ideologien und Verschwörungstheorien. Aber natürlich auch das Männerbündische faschistischer Gruppen, Militarismus und militaristische Ideologien. Es ist nicht hilfreich, unsere Antwort auf eine einzelne Wurzel zu beschränken.

UZ: Wenn der Kapitalismus zu den Wurzeln des Faschismus gehört, ist die VVN-BdA eine antikapitalistische Organisation?

Florian Gutsche: Die VVN-BdA ist in der Sache keine antikapitalistische Organisation. Es gibt viele Antikapitalisten unter unseren Mitgliedern, die meisten unserer Gründerinnen und Gründer waren ja Kommunisten, also sicherlich Antikapitalisten. Aber wir haben auch Mitglieder, die keine Antikapitalisten sind – zum Beispiel mit einem christlichen Hintergrund, oder solche, die auch Mitglied bei den Grünen sind, denen man sicherlich nicht in der Gänze unterstellen kann, antikapitalistisch zu ein. Also: In der Gänze ist die VVN-BdA nicht antikapitalistisch, weite Teile der Mitgliedschaft sind es schon.

UZ: In Anträgen an den Kongress ist vorgeschlagen worden, dass die VVN-BdA programmatische Aussagen erarbeitet. Wird es bald ein Programm eures Verbandes geben?

Florian Gutsche: Wir haben es leider nicht geschafft, besonders viele Anträge zu behandeln – das ist ein Leidwesen, das sich durch die Bundeskongresse zieht, seit ich die VVN-BdA kenne. Die Anträge, die wir nicht behandeln konnten, landen beim Bundesausschuss, unserem höchsten Organ zwischen den Kongressen. Dort werden sie diskutiert werden, auch die Anträge zur Programmatik. Das ist eine kontroverse Diskussion, ob ein solches Programm zuträglich wäre oder ob es ein zu enges Korsett wäre, die haben wir noch nicht beantwortet.

UZ: Wie siehst du das?

Florian Gutsche: Ich glaube nicht, dass ein Programm für uns zuträglich wäre – es würde unsere Flexibilität im Umgang mit Bündnispartnern einschränken, ich sehe die Gefahr, dadurch unsere Arbeit zu verengen. Ein Programm würde uns nicht weiterhelfen und Positionen zu sehr fixieren. Was uns weiterhilft, ist die konstante Diskussion. Zum Beispiel in der Frage der Faschismusdefinition: Das ist ja eine Debatte, die seit fast hundert Jahren geführt wird. Diese Diskussionen müssen wir führen, da müssen wir offen bleiben.

UZ: Um offen zu bleiben, ist es nicht notwendig, Eckpunkte klarzustellen?

Florian Gutsche: Die Eckpunkte sind ja klar. Der Schwur von Buchenwald ist für unseren Verband handlungsleitend. Klar ist zum Beispiel auch, dass wir als antifaschistische Organisation an der Seite von Geflüchteten und Migranten stehen. Das extra durch ein Programm in ein Korsett zu schnüren, halte ich nicht für sinnvoll. Der Schwur von Buchenwald ist das Grundlegende, danach handeln wir.

UZ: Die Kampagne „Aufstehen gegen Rassismus“ sei „das zentrale Element im Kampf gegen die AfD“, hieß es im Leitantrag an euren Kongress. Die Delegierten haben eine Änderung beschlossen: „Aufstehen gegen Rassismus“ sei „ein zentrales Element“. Ist das eine Distanzierung?

Florian Gutsche: Nein, das ist keine Distanzierung, weil die VVN-BdA weiter aktiv in der Kampagne mitwirkt. Das Anliegen bei dieser Änderung war zu zeigen: Auch über „Aufstehen gegen Rassismus“ hinaus entfaltet die VVN-BdA Aktivitäten, die sich gegen die AfD und andere neonazistische Kräfte richten, die eigene Ideen entwickeln und einen anderen Ansatzpunkt wählen, einen anderen Weg der Auseinandersetzung. Bei all dem geht es um den Aufruf, bei den Bundestagswahlen nicht die AfD zu wählen.

UZ: Wie will die VVN-BdA in den Wahlkampf eingreifen?

Florian Gutsche: Wir sind dabei, unsere Ausstellung „Neofaschismus in Deutschland“ zu finalisieren, in der die AfD ein großes Thema sein wird. Mit dieser Ausstellung wollen wir von Seiten der Bundesvereinigung aus wirkmächtig werden. In den Landesvereinigungen gibt es weitere Ideen und Planungen. Und wie gesagt arbeiten wir bei „Aufstehen gegen Rassismus“ mit – die Kampagne wird wieder eine große Massenzeitung erarbeiten. Sie wird im Zusammenhang mit „Unteilbar“-Demos in Rostock oder Berlin auftreten, um aufzuzeigen, dass es eine starke und große linke Zivilgesellschaft gibt, die ganz klar gegen Rassismus und Antisemitismus steht.

UZ: Der Konflikt um die Gemeinnützigkeit hat viele neue Menschen zur VVN-BdA gebracht. Wie verändert sich dadurch euer Verband?

Florian Gutsche: Er wird jünger. Er ist auch größer geworden. Es kommen neue Perspektiven dazu: Wie organisiert man sich, welche Themen sind wichtig? Das Thema Feminismus – beziehungsweise der Antifeminismus der Rechten – wird eine größere Rolle spielen. Auch das Thema Krieg und Frieden: Ich erhoffe und erwarte, dass wir neue Ideen entwickeln, was man tun kann für eine friedliche Welt.
Die neuen Mitglieder fangen an zu drängeln, sie wollen sich einbringen, sie wollen, dass wir unsere Strukturen verändern. Das ist eine gute Sache.

UZ: Ihr seid wieder als gemeinnützig anerkannt. Was heißt das für euch?

Florian Gutsche: Das heißt zunächst, dass wir keine Nachzahlung an das Finanzamt leisten müssen. Wir mussten viel Geld zurückstellen – das ist uns nur wegen der hohen Spendenbereitschaft und der vielen Eintritte gelungen. Unsere Spender können wieder Spendenbescheinigungen ausgestellt bekommen.

Es bedeutet aber auch, dass die Kriminalisierung unserer antifaschistischen Arbeit teilweise zurückgeschlagen worden ist. Den Antifaschismus in die Schmuddelecke zu drängen, wie es der Verfassungsschutz gerne betreibt, ist mit dieser Aktion nicht gelungen. Wir werden weiter daran arbeiten, dass das auch in Zukunft nicht gelingt.

UZ: Ihr habt im Kampf um die Gemeinnützigkeit gefordert, dass Geheimdienste nicht über die Bandbreite der gesellschaftlichen Debatte entscheiden sollen. Ist dieses Ziel erreicht?

Florian Gutsche: Nein, leider nicht. Der Verfassungsschutz kann weiter seine Behauptungen in die Welt pusten, er kann sich weiterhin herausnehmen, Bewertungen abzugeben über verschiedene Organisationen, die in der Gesellschaft aktiv sind, und er kann es sich leisten, dabei jedes Neutralitätsgebot zu missachten. Vor diesem Hintergrund sind wir dafür, den Verfassungsschutz aufzulösen. Dabei geht es ja nicht nur um die Kriminalisierung unseres Verbandes, es geht auch um den NSU-Komplex und um rechte Strukturen, die vom Verfassungsschutz mit aufgebaut worden sind. Da gibt es so viele Fragezeichen, dass die weitere Existenz dieser Institution nicht gerechtfertigt ist.

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"Jünger, größer, offen, klar", UZ vom 7. Mai 2021



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