Tarifrunde Länder: Forderung nach Stadtstaatenzulage hatte mobilisierende Wirkung

Kämpfen, um zu bleiben!

Marie Schmidt

Schon vor Beginn der Tarifrunde der Länder war klar: der Organisationsgrad ist erschreckend schwach und es mangelt an kritischen Bereichen, wo ein Streik wirklich weh tut. Wenn 80.000 Streikende, also knapp 7 Prozent der Tarifbeschäftigten, für die restlichen 93 Prozent einen Abschluss erkämpfen, dann kann das Ergebnis nicht gut sein. Und es kann keines sein, das den deutlichen Reallohnverlust der letzten Jahre ausgleicht.

Misst man das Ergebnis also an der gewerkschaftlichen Durchsetzungskraft, dann ist es durchaus passabel – zumindest für die Flächenländer. Zu verdanken ist dies einer im Vergleich zu den vorhergegangenen Tarifrunden wesentlich größeren Streikbewegung, die von den Stadtstaaten, den Unikliniken und denjenigen Hochschulen, an denen die Initiative TV Stud aktiv war, getragen wurde. Streikkundgebungen mit 13.000 Kolleginnen und Kollegen in Berlin, über 10.000 in Düsseldorf und knapp 7.000 in Hamburg zeugen von dieser Bewegung.

Die Strategie, über Forderungen, für die es sich zu kämpfen lohnt, zusätzliche oder neue gewerkschaftliche Stärke aufzubauen, ist also aufgegangen. Allein in Hamburg konnte die Zahl der Streikenden im Vergleich zur Vorrunde mindestens verdoppelt werden. Was ist aber eine Forderung, für die es sich zu kämpfen lohnt? Eine, die geeignet ist, die drängendsten Probleme zu lösen. Für Hamburg war und ist die Stadtstaatenzulage in zweierlei Hinsicht eine zentrale Losung. Kolleginnen und Kollegen mit kommunalen Tätigkeiten werden in der Freien und Hansestadt nach dem Tarifvertrag der Länder bezahlt und nicht nach dem der Kommunen. Die Einkommensunterschiede zum Umland betragen jenseits der Landesgrenze durchschnittlich 500 Euro. Das Resultat ist eine massive Abwanderung ins Umland und 5.000 unbesetzte Stellen in der Stadt.

Gerade für diejenigen, die in den unteren Lohngruppen eingestuft sind, ist es unmöglich, von ihrem Gehalt in der Stadt zu leben, für die sie arbeiten. Den Streikenden ging es nicht nur um ihre eigenen Belange, sondern auch darum, für würdevolle Bedingungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge zu kämpfen. „Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten, die anderen brauchen uns“, so lautete das Motto auf zahlreichen Streikkundgebungen.

Für die weitere Stärkung der Gewerkschaft in Hamburg ist nun das größte Problem, dass zwar eine starke Streikbewegung aufgebaut wurde, diese sich aber nur auf das Ergebnis in der Fläche und die Zulagen im Bereich des Sozial- und Erziehungsdienstes ausgewirkt hat. Die Stadtstaatenzulage wird dagegen nur in Berlin tarifiert. Es gilt, die Enttäuschung in den Betrieben aufzufangen, die Erfolge sichtbar zu machen (auch wenn es nicht die beabsichtigten waren) und Perspektiven aufzuzeigen, wie die notwendigen Veränderungen erkämpft werden können.

Im Jahr 1853 schrieb Marx: „Um den Wert von Streiks und Koalitionen richtig zu würdigen, dürfen wir uns nicht durch die scheinbare Bedeutungslosigkeit ihrer ökonomischen Resultate täuschen lassen, sondern müssen vor allem ihre moralischen und politischen Auswirkungen im Auge behalten.“ Und das gilt auch für diese Auseinandersetzung. In 27 Streiktagen haben die Kolleginnen und Kollegen Angriffe des Arbeitgebers abgewehrt, auf Bühnen vor tausenden von Menschen geredet, haben Streikversammlungen vorbereitet, sind in die direkte Diskussion mit den politisch Verantwortlichen gegangen, haben gut 900 neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter gewonnen. Sie haben eigene Streiklieder und Parolen kreiert, sind zusammengewachsen, haben das Büro mit dem Bauhof zusammengebracht. Diese Erfahrung kann ihnen keiner mehr nehmen. Sie ist der Boden für kommende Auseinandersetzungen, nicht nur für einen guten Lohn, sondern auch für die Abschaffung des Lohnsystems selbst.

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"Kämpfen, um zu bleiben!", UZ vom 22. Dezember 2023



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