Ein Aufstellung aus Florenz aus dem Jahr 1427 belegt: Reiche Sippen bleiben (fast) immer reich

Kapitale Inzucht

Von Hans-Peter Brenner

Florenz lebt bis heute von seiner „großen“ Renaissance-Zeit zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert, die auch Friedrich Engels in seiner „Dialektik der Natur“ rühmte: „Italien erhob sich zu einer ungeahnten Blüte der Kunst, die wie ein Widerschein des klassischen Altertums erschien und nie wieder erreicht worden“ ist. Es war „eine Zeit, die Riesen brauchte und Riesen zeugte. Die Männer, die die moderne Herrschaft der Bourgeoisie begründeten, waren alles, nur nicht bürgerlich beschränkt.“

Eine Studie von zwei Ökonomen der italienischen Nationalbank, Guglielmo Barone und Sauro Mocetti, hat nun eine spezielle Kostbarkeit jener Zeit zutage gefördert. Die beiden Wirtschaftswissenschaftler bargen einen ganz anderen „Schatz“: Die Steuerlisten jener Epoche. Ausgangsbasis war die nahezu lückenlose Aufstellung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse und der Berufe von damals 10000 Familien im Jahre 1427. Sowohl die „Welt“ als auch die „Süddeutsche Zeitung“ berichteten vergangene Woche darüber.

Diese Übersicht ist deshalb so detailliert, weil die Stadtregierung damals infolge der Kriege gegen die Hauptkonkurrenz Mailand kurz vor der ökonomischen Pleite stand. Aus diesem Grund wurde eine exakte Steuererhebung durchgeführt, um zu höheren Steuereinnahmen zu kommen. Mit ihrer Hilfe konnten sie die Zusammensetzung der Florentiner Steuerzahler exakt erfassen und sie dann mit jener des Jahres 2011 abgleichen. Das Ergebnis ist eine kleine sozial- und kulturwissenschaftliche Sensation: Demnach kommen die wohlhabendsten Bürger der Stadt aus denselben Sippen, die Florenz schon im Mittelalter ökonomisch beherrschten.

Die reichsten Familien von Florenz sind heute noch die gleichen wie vor 600 Jahren. Sie bestimmen seit 600 Jahren unverändert die Geschäfte in Florenz. Ihr Reichtum wurde über nunmehr 600 Jahre weitervererbt. Zwar ist die mächtigste der damaligen Familien, die Sippe der Medici, bereits seit 1737 ausgestorben; aber im Jahre 2011 waren die fünf Spitzenverdiener der Stadt Abkömmlinge von Mitgliedern der Gilden der Schuh-,Wolle-, und Seidenhändler sowie der Juristen, die bereits im 15. Jahrhundert die höchsten Einkommen aufwiesen. Die Autoren der Studie kommen zu folgender Bewertung: „Wir fanden Hinweise auf die Existenz eines gläsernen Bodens, der die Nachfahren der Oberschicht vor dem Absturz schützt.“

Doch nicht nur eine Spitzenelite, auch die Nachfahren des obersten Drittels der damaligen Steuerzahler von 1427 sind heute reicher als der Durchschnitt. Die Studie bestätigt die in Florens gängige Einschätzung. „In Florenz beherrschen seit den Zeiten der Medici 30 Familien die Stadt.“ Darunter ist auch die Familie der Corsini, die am Arno-Ufer in ihrem Palazzo die größte Sammlung von Renaissancekunst hortet, die aber für das öffentliche Publikum nicht zugänglich ist.

Florenz ist kein Einzelfall. „Wir glauben, dass die Ergebnisse auch auf andere westliche Industriestaaten übertragen werden können“, meinen Barone und Mocetti. Eine Analyse der Reichtumsentwicklung in Schweden durch den Historiker Gregory Clark, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht, kam zu ähnlichen Ergebnissen. Und schon 2013 hatten Clark und sein Kollege Neil Cummins Ähnliches für England festgestellt. Sie hatten dazu die Namen der Studenten an den Universitäten von Oxford und Cambridge zwischen 1170 und 2012 verglichen. Resultat: Die Studenten kamen über mehr als acht Jahrhunderte hinweg vorwiegend aus den gleichen Familien. „Der soziale Status wird sogar stärker vererbt als die Körpergröße“, fassten sie ihre Ergebnisse zusammen.

In der BRD dürfte die Geschichte der Reichen und Mächtigen kaum anders aussehen.

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"Kapitale Inzucht", UZ vom 17. Juni 2016



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