Bundeshaushalt: Militär und Konzerne profitieren, alle anderen müssen sparen

Keine Schuldenbremse für Aufrüstung

Hundert Milliarden Euro Kredit will die Regierung für den Militärhaushalt aufnehmen. Damit die immense Neuverschuldung nicht gegen die Schuldenbremse verstößt und als „Sondervermögen“ des Bundes ausschließlich für die Bundeswehr zur Verfügung steht, soll das Grundgesetz geändert werden. Unter der sogenannten „Schuldenbremse“ versteht man die in Artikel 109 Absatz 3 GG verankerte Regelung zur Begrenzung der (strukturellen) Kreditaufnahme des Bundes und der Länder. Sie wurde im Zuge der Föderalismusreform im Jahr 2009 eingeführt. Nicht alle Bundesländer haben in ihren Verfassungen die Schuldenbremse umgesetzt. Auffällig ist, dass in den Bundesländern, welche sie nicht umgesetzt haben, die Verschuldungsquote zwar etwas höher (bis zu 4 Prozent) liegt, aber stets die gleiche Tendenz aufweist wie in den Ländern mit Schuldenbremse.

Eine echtes Hemmnis für eine freigiebige Ausgabenpolitik ist sie also nicht. Eher drängt sich der Verdacht auf, dass die Schuldenbremse bewusst dazu eingesetzt wird, allzu dringlichen Forderungen nach höheren Ausgaben im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich mit dem Hinweis auf die „verfassungsmäßige Grenze“ Paroli zu bieten. Hier entpuppt sich die „schwarze Null“ als Allzweckwaffe, wenn es darum geht, kreditfinanzierte Investitionen in Bildung, Pflege, kommunalen Nahverkehr und Arbeitsfördermaßnahmen zu verhindern. Die Neuverschuldung beträgt aktuell 99,7 Milliarden Euro – wobei jetzt schon klar ist, dass dieser Betrag zu niedrig angesetzt ist und im Laufe des Jahres aufgestockt werden muss. Für die Überbrückung weiterer Engpässe hat der vorausschauende Finanzminister deshalb bereits einen „Nachtragshaushalt“ angekündigt. „Dort sollen die Mehrausgaben wegen des Krieges eingearbeitet werden“, wie man in der „Zeit“ lesen konnte.

Die meisten Verfassungsjuristen und auch der Bundesrechnungshof halten Nachtragshaushalte für eine offen grundgesetzwidrige Verschleierungstaktik. Die oppositionelle CDU wittert Morgenluft, obschon sie in der Vergangenheit selbst gern mit Nachtragshaushalten operiert hat. Christian Haase, Haushaltspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hält den Haushalt für ein „Blendwerk in Zahlen“. Trotz allen Jonglierens mit Haupt-, Sonder- und Nachtragshaushalten wird auch dieses Jahr, wie in den Vorjahren, die als goldenes Kalb verehrte Schuldenbremse gerissen. In der Pressekonferenz nach der Sitzung des Kabinetts am 16. März erläuterte der sichtlich gutgelaunte Christian Lindner die Eckpunkte seiner Finanzplanung mit Ausgaben von 457,6 Milliarden Euro im laufenden Jahr: Bei den Beratungen zum Haushalt „haben wir die Vorhaben der Koalition und uns selbst auch nochmal neu kennengelernt“. Und dann durften die Hauptstadtjournalisten Lindners Gewinner- und Verliererliste kennenlernen: Meistbegünstigtes Ressort ist das Militär mit einem Plus von 7,3 Prozent (wobei das „Sondervermögen“ mit 100 Milliarden Euro und die angekündigte Übererfüllung des NATO-Beitrags noch nicht einmal eingerechnet sind). Es folgt das Wirtschaftsministerium mit 6,7 Prozent Zuwachs. Auf der Strecke bleiben Bildung (–2,5 Prozent), Arbeit und Soziales (–2,9 Prozent), Familien (–4,7 Prozent), Ernährung (–7,4 Prozent), Umwelt und Naturschutz (–17,5 Prozent), die Entwicklungshilfe wird um 12,6 Prozent gekürzt.

In nackten Zahlen gerechnet ist der deutsche Militäretat einschließlich Sondervermögen nun so hoch wie der von Russland, Frankreich und Großbritannien zusammen. Unterdessen gehen die Aktienkurse der Waffenschmieden durch die Decke, Rheinmetall legte binnen drei Wochen um über 80, der Rüstungselektroniker Hensoldt um 76,5 und der IT-Ausrüster Secunet um 37 Prozent zu. Der US-Kampfjethersteller Lockheed Martin profitiert an der nuklearen Teilhabe Deutschlands und wird 35 F-35-Jets (Einzelpreis: 100 Millionen Euro) liefern. Das groß angekündigte Bürgergeld und die Kindergrundsicherung tauchen dagegen im Haushalt nicht mehr auf. Auch nicht als Sondervermögen. So bleibt es für die circa 5 Millionen Menschen, die Hartz-IV beziehen, bei der lächerlichen „Erhöhung“ der Bezüge um 10 Cent pro Tag (Kinder 7 Cent) seit 1. Januar – bei einer Inflation von über 5 Prozent, explodierenden Spritpreisen und immens gestiegenen Heizkosten. Im vergangenen Jahr wurde 230.000 Haushalten der Strom abgestellt, die Sozialverbände erwarten, dass sich diese Zahl im laufenden Jahr drastisch erhöhen wird. Der nun weltweit drittgrößte Militärhaushalt fordert seine Opfer.

Über den Autor

Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler.

Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr.

Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.

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"Keine Schuldenbremse für Aufrüstung", UZ vom 25. März 2022



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