Arbeits- und Gesundheitsschutz müssen neu durchgesetzt werden

Krank durch Home-Office

Je länger die Pandemie andauert, desto mehr rücken mobile Arbeitsformen in den Fokus der Öffentlichkeit. Dies trifft besonders für das „Home-Office“ zu – eine Form der Digitalisierung der Arbeitswelt, die in den letzten Monaten in vielen Unternehmen umgesetzt wurde.

Mobiles Arbeiten gibt es zwar schon länger, aber erst durch die Pandemie ist es zu einer Massenerscheinung geworden: Waren es vor der Pandemie nur wenige Prozent, die regelmäßig im Home-Office arbeiteten, sind es derzeit etwa ein Viertel der Erwerbstätigen in Deutschland – das sind mehr als zehn Millionen Menschen. Doch ist das Potenzial damit längst nicht ausgeschöpft. In Ballungsräumen wäre es für fast die Hälfte der dort ansässigen Erwerbstätigen möglich, ihre Tätigkeit ohne weiteres verlagern zu können, heißt es in aktuellen Analysen.

Die technische Entwicklung ermöglicht es, dass ganze Berufsgruppen – egal ob Buchhaltung, Personalverwaltung, die Onlineüberwachung von technischen Anlagen bis hin zu Videoschalten in Serviceeinrichtungen – ins Home-Office versetzt werden. Während dieser Prozess vor der Pandemie mehr oder weniger geordnet vonstatten ging, ist der jetzige, massenhafte Gang ins Home-Office meist unkontrolliert vollzogen worden.

Vor der Pandemie sperrten sich Vorgesetzte häufig gegen den Wunsch nach Home-Office. Nun haben die Unternehmensleitungen entdeckt, dass die Arbeit trotzdem geleistet wird, die Effizienz sich dadurch sogar noch steigern lässt und darüber hinaus Kosten für teure Bürogebäude gespart werden können.

Befragungen zeigen, dass sowohl Unternehmen als auch Erwerbstätige diese Arbeitsform nach der Pandemie im größeren Stil fortführen wollen. Das trifft nicht auf jeden Arbeitstag zu und schließt nicht die derzeitigen Bedingungen mit Home-Schooling ein. Aber die wegfallenden oder geringeren Fahrtzeiten, mehr Zeitsouveränität, bessere Konzentration oder die eigene Arbeitsatmosphäre sind Vorteile, die die Beschäftigten zu schätzen wissen. Erste Analysen aus der Zeit vor der Pandemie schließen aus den gemachten Erfahrungen, dass bei dieser Arbeitsform besonders darauf zu achten ist, Grenzen zu ziehen. Denn gerade jetzt zeigen sich die Nachteile: Entgrenzung von Arbeitszeit, längere und untypische Arbeitszeiten, fehlende Arbeitsausstattung und kaum ergonomisch eingerichtete Arbeitsplätze.

Home-Office kann krank machen, das zeigen die Berichte der Krankenkassen für das vergangene Jahr deutlich. Kopf- und Rückenschmerzen und psychische Erschöpfung sind demnach Ursache für eine erhöhte Anzahl von Krankheitstagen. Befragungen aus den ersten Monaten der Pandemie zeigen deutlich, dass Home-Office von den Unternehmen an den Betriebsräten vorbei angeordnet wurde und die Mitbestimmungsmöglichkeiten erst wieder eingefordert werden mussten. Um negative Langzeitfolgen insbesondere auf die Gesundheit zu vermeiden, ist die Notwendigkeit von begrenzenden Rahmen für die Gestaltung dieser Entwicklung erforderlich. Ein Zurück zum Status quo vor der Pandemie wird es nicht mehr geben. Erforderlich sind klare Begrenzungen des Arbeitszeitrahmens, zwingende technische Ausstattung für die mobile Arbeit auf Kosten der Unternehmen, aber auch Regelungen zur Einschränkung der Erreichbarkeit und der Freiwilligkeit auf Seiten der Erwerbstätigen. Sie müssen mitentscheiden können, ob und wie sie diese Arbeitsform künftig wahrnehmen.

Die Zahl der Betriebsvereinbarungen zu diesen Themen nimmt zu, wie die gewerkschaftliche Hans-Böckler-Stiftung angibt. Flankierend dazu haben Gewerkschaften begonnen, tarifliche Regelungen zu schaffen. Als eine der ersten hat die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG schon vor drei Jahren einen „TV Arbeit 4.0“ abgeschlossen, in dem in Auswertung der betrieblichen Entwicklungen Grundlagen definiert und auch die Freiwilligkeit mobiler Arbeitsformen festgeschrieben wurde. Aber auch wenn beides durchgesetzt werden kann, es bleibt ein Großteil der Erwerbstätigen, die weder über Tarifverträge noch über Betriebsräte verfügen. Hier droht eine Vereinzelung und Entrechtung ganzer Gruppen von Beschäftigten in den Verwaltungen, zu denen Betriebsräte und Gewerkschaften kaum noch einen Zugang haben. Sie müssen über gesetzlich geregelte Rahmenbedingungen geschützt werden.

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"Krank durch Home-Office", UZ vom 23. April 2021



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