Kriegsspiele und Kriegsgefahr

Von Nina Hager/Manfred Idler

Polen ist bedroht. Vom Koloss im Osten. Dieses reaktionäre Man-tra rezitierte Verteidigungsminister Macierewicz erneut am 11. Mai im Sejm, dem polnischen Parlament. Den früheren Regierungen Polens warf er vor, „die Absichten der Russischen Föderation gegenüber Polen und den übrigen europäischen Ländern falsch eingeschätzt zu haben“. Infolgedessen hätten sie die östliche Flanke des Landes „völlig ungeschützt“ gelassen.

Die Gesellschaft muss sich auf einen Angriff „der Russen“ vorbereiten, die Armee gestärkt werden. Unter dem Deckmantel der „Landesverteidigung“ gegen Russland soll eine Freiwilligenmiliz aufgebaut werden – aus extrem rechten Schlägern. Mit Unterricht über die NATO an Schulen und „Militärpicknicks“ für die ganze Familie wird die antirussische Stimmung im Land „angeheizt“, so die „FAZ“ am 4. Juni. Nicht nur wegen des NATO-Gipfels, der am 8. und 9. Juli in Warschau stattfinden soll: Chauvinismus und Militarismus sind offenbar auch Mittel für innenpolitische Zwecke. Der NATO-Gipfel soll festschreiben, was schon lange geplant ist „Abschreckung und Verteidigung“ lautet diesmal das Motto (Deterrence and Defense). Angeblich will die NATO aber auch Bereitschaft zum Dialog mit Russland signalisieren.

Rund 2 000 Fallschirmjäger aus Polen, den USA und Großbritannien eröffneten am Dienstag vergangener Woche in der Nähe der polnischen Stadt Torún mit einer Luftlandeübung das internationale Truppenmanöver „Anakonda 2016“, die größte Militärübung in Polen seit 1989, die bis zum 17. Juni andauert. Sie wird von kleineren Übungen flankiert. Offiziellen Angaben zufolge werden bei „Anakonda“ insgesamt mehr als 31 000 Soldaten aus 24 Ländern, 3 000 Fahrzeuge, 105 Flugzeuge und 12 Schiffe eingesetzt. Wie passt die Dialogbereitschaft gegenüber Russland zu diesem Kriegsspiel unmittelbar vor dem 70. Jahrestag des faschistischen Überfalls auf die Sowjetunion? Wie die Stationierung von Militär nahe der russischen Enklave Kaliningrad, wo sich ein Militärstützpunkt der russischen Seestreitkräfte befindet? Wie die Verträge brechenden Pläne für eine dauerhafte und noch stärkere Präsenz von NATO-Truppen in unmittelbarer Nähe der russischen Grenzen sowie die Stationierung von noch mehr Waffen in der Region?

Neben etwa 12 000 Soldaten des Gastgebers üben 14 000 US-Soldaten die Ouvertüre zum III. Weltkrieg. Die anderen kommen aus 22 weiteren NATO-Ländern und Partner-Staaten des Pakts, darunter aus der Ukraine. Unter den Teilnehmern befinden sich die NATO-Staaten wie die aus dem Baltikum, Spanien, Türkei, Deutschland, Großbritannien, Albanien, Kanada, Kroatien, Tschechien, Slowakei, Rumänien und Bulgarien sowie die Nichtmitglieder Finnland, Mazedonien, Ukraine und sogar der Kosovo. Zum Einsatz kommen bereits rund 400 Angehörige der polnischen Freiwilligenmiliz. Georgien hat abgesagt, weil angeblich Masern im vorgesehenen Truppenteil aufgetreten sind. Die Bundeswehr ist mit etwa 400 Pionieren vertreten.

Angeblich hat das Manöver defensiven Charakter. Wäre es so, die Paten von „Anakonda“ hätten sich bei der Namensgebung vertan: Es ist nicht ihr defensives Verhalten, für das die riesige Würgeschlange mit dem unverhältnismäßig kleinen Kopf bekannt ist. „Bild“ brachte es auf den Punkt „Anakonda 16: Hier übt die Nato Krieg gegen Putin“. „Spiegel Online“ attestierte: „Man muss kein Experte sein, um das Szenario zu verstehen. Kurz vor dem Nato-Gipfel spielt Polens Militär den Angriff Russlands auf den Ostrand der Allianz durch. Polen kann sich wehren, soll das heißen – wohlgemerkt gemeinsam mit den auf Manöverkarten blau markierten Nato-Truppen.“ Wenige Tage vor Beginn des Manövers erklärte der polnische Ministerpräsident Andrzej Duda bei einem gemeinsamen Treffen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg: „Das Ziel der Übung ist klar. Wir bereiten uns auf einen Überfall vor.“ Mark Milley, Generalstabschef der US-Armee, sagte, die Vereinigten Staaten wollten mit ihrer Teilnahme an dem Manöver unterstreichen, dass sie „Schulter an Schulter mit Polen stehen“ und zu Freiheit und Unabhängigkeit in der Region beitragen.

Auf „Spiegel-online“ konnte man dagegen vergangene Woche lesen: „Mit der Übung ‚Anakonda’ ist die NATO trotzdem nicht glücklich. Das Manöver, heißt es im Hauptquartier, sei ‚viel zu plump auf Russland gemünzt’. Zudem sei das Durchspielen des Bündnisfalls so kurz vor dem NA-

TO-Gipfel in Polen ‚zu dick aufgetragen’. Klar sei das Verhältnis zu Russ-land schwierig, hier aber werde ‚ohne Not der Ernstfall durchexerziert’.“

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Kriegsspiele und Kriegsgefahr", UZ vom 17. Juni 2016



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