DGB: Hunderttausende am 1. Mai auf der Straße

Lob für Tarifabschlüsse

An den Demonstrationen und Kundgebungen des DGB am 1. Mai haben sich laut Gewerkschaftsbund bundesweit 287.880 Menschen beteiligt. Das Motto lautete in diesem Jahr „Ungebrochen solidarisch“.

180302 Frankfurt - Lob für Tarifabschlüsse - 1. Mai 2023, DGB, Frank Werneke, Yasmin Fahimi - Wirtschaft & Soziales
Von der Bühne gelobt, in der Demo kritisiert: Die Tarifeinigung im öffentlichen Dienst (Frankfurt, 1. Mai 2023). (Foto: DKP Frankfurt)

Die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi kritisierte in ihrer Rede in Köln die „kalte Verwertungslogik der reinen Marktwirtschaft“, lobte die „ordentlichen Lohnerhöhungen“, die in der Chemieindustrie, der Metall- und Elektroindustrie sowie bei der Post erzielt worden seien. Diese seien in Anbetracht der hohen Inflation nötig.

Die Bundesregierung machte Fahimi nicht für die Preissteigerungen verantwortlich. Im Gegenteil: Sie bezog sich positiv auf die „Entlastungspakete“ der Bundesregierung, mit denen vielen Menschen geholfen worden sei. Sie wiesen „unverkennbar“ die Handschrift der Gewerkschaften auf.

Fahimi verurteilte den „Angriffskrieg auf die Ukraine“ und sicherte „den Ukrainerinnen und Ukrainern und ihrem ausgeübten Recht auf Selbstverteidigung“ ihre „volle Solidarität“ zu, forderte aber gleichzeitig, dass „Bemühungen um diplomatische Lösungen verstärkt werden“.

Der Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, thematisierte in seiner Rede in Berlin Angriffe auf das Streikrecht. Die Forderung der Kapitalseite nach „Verhältnismäßigkeit“ wies er zurück. Es sei der Sinn von Streikmaßnahmen, Druck zu machen.

180304 Erfurt - Lob für Tarifabschlüsse - 1. Mai 2023, DGB, Frank Werneke, Yasmin Fahimi - Wirtschaft & Soziales
Die Friedensfrage wurde von SDAJ und DKP in die 1.-Mai-Demos „reingetragen“ (Erfurt, 1. Mai 2023). (Foto: DKP Erfurt)

Der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke sagte in Frankfurt am Main, Tarifverhandlungen seien ohne die Möglichkeit zu streiken „nur kollektive Bettelei“. Er forderte Solidarität mit den Menschen in der Ukraine, aber auch mit denen, die ihre Stimme laut gegen den Krieg erheben. Der Krieg sei nicht der einzige Grund für die hohe Inflation, diese sei aber insbesondere durch den Krieg gestiegen. Auch Werneke ließ die Bundesregierung weitgehend außen vor: „Für die Preise sind immer noch die Unternehmen zuständig. Die haben den Krieg ausgenutzt, um viel mehr zu verdienen.“ Und Werneke weiter: „Nach drei Jahren Pandemie und den durch die hohe Inflation verursachten Reallohnverlusten fordern die Beschäftigten die Wertschätzung ihrer Arbeit und starke Tariferhöhungen zur Sicherung ihrer Einkommen ein.“ Auch er lobte die Tarifabschlüsse. Es seien „beachtliche Lohnzuwächse“ erzielt worden – etwa bei der Deutschen Post, in der privaten Energiewirtschaft, bei Banken-Servicegesellschaften. Solche Erfolge seien nur möglich, weil sich in einer „enormen Zahl“ Beschäftigte an Aktionen und Warnstreiks beteiligt hätten.

Eine etwas andere Rede hielt die ehemalige IGM-Hauptamtliche Anne Rieger beim Roten 1. Mai in Siegen, die vor allem lange Laufzeiten und fehlende tabellenwirksame Lohnerhöhungen in diesem Jahr in den Tarifabschlüssen kritisierte (siehe Kasten). Sie fragte, ob es denn so sei, dass nach einer der „größten Streikwellen der vergangenen 30 Jahre“ die Kolleginnen und Kollegen den „kleinlichen Angeboten“ keinen Widerstand mehr leisten konnten oder wollten: „Oder warum haben ihre Vertreter in der Tarifkommission dem Schlichterspruch zugestimmt?“

Auszug aus der Rede von Anne Rieger in Siegen
Die EVG braucht unsere tatkräftige Unterstützung und Zustimmung beim Kampf für ihre Forderungen. Je höher ihr Abschluss, umso größer sind die Chancen bei den folgenden Kämpfen um höhere Einkommen, zum Beispiel im Handel. In Baden-Württemberg fordern sie im Einzelhandel eine Anhebung der Löhne um 15 Prozent. Der Handelsverband antwortete mit einer Lohnerhöhung von 3 Prozent im ersten und 2 Prozent im zweiten Jahr. Zusätzlich soll es zwei Einmalzahlungen in Höhe von 750 und 250 Euro geben. ver.di hat diesen Vorschlag umgehend als völlig unzureichend zurückgewiesen. Richtig so!
Das ist alles richtig und doch viel zu wenig. Wir können uns Null-Monate – wie beim verdi-Abschluss bis zum März nächsten Jahres – nicht leisten. Auch kein Warten von 24 Monaten, bis wir wieder die nächste Lohnforderung stellen können. Die Preise wurden und werden aktuell ständig massiv erhöht, wie mit der Inflationszahl von 7,2 Prozent gerade berichtet wurde. Da dürfen wir uns nicht blenden lassen von scheinbar tollen Einmalzahlungen, und seien sie noch so hoch.
Einmalzahlungen sind vergiftet, erstens, weil das einmalige Geld sofort ausgegeben ist (…); zweitens, weil die Unternehmer, hier die Bundesregierung, keine Sozialversicherungsbeiträge zahlen. „Steuer- und abgabenfreie Inflationsausgleichszahlung“ heißt das Zauberwort, das in Wirklichkeit der Vernebelung dient, mit dem sich die Bundesregierung im Fall des öffentlichen Dienstes von einer rückwirkenden, Tabellenerhöhung ab 1. Januar diesen Jahres freikauft und damit keine Beiträge für unsere Renten und Arbeitslosenversicherung etc. zahlt.
Was wird dann im Alter mit uns? Altersarmut? Was im Falle von Arbeitslosigkeit? Auch von uns werden keine Beiträge eingezahlt, sie werden uns später fehlen.
Einmalzahlungen und abgabenfreie Zahlungen als Ersatz für höhere Tarifentgelte können wir uns nicht leisten!

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"Lob für Tarifabschlüsse", UZ vom 5. Mai 2023



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