Was darf wer am 1. Mai? Eine Nachlese

Wahlkampfveranstaltung und Friedensfest

Nach Angaben des DGB haben sich am 1. Mai rund 330.000 Menschen an dessen etwa 450 Veranstaltungen und Kundgebungen beteiligt. Zentrale Themen waren die sinkende Tarifbindung, fehlende Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge, Personalmangel sowie die anstehenden EU-Wahlen. Kritik an der unsozialen Kriegspolitik der Bundesregierung gab es von der Gewerkschaftsführung kaum, eher „Appelle“ an SPD und Grüne, sich mehr zu kümmern. Lediglich die FDP wurde gescholten ob ihrer „Blockadehaltung“. So jedenfalls äußerten sich die DGB-Vorsitzende Fahimi in Hannover, ihre Stellvertreterin Hannack in Münster oder auch Vorstandmitglied Körzell in Koblenz.

Das Thema Frieden war Fahimi in ihrer Rede nur zwei kurze Absätze wert, im DGB-Aufruf zum 1. Mai hatte es fast gar keine Rolle gespielt. Die DGB-Vorsitzende sprach vom „Aggressor Putin“, gegen den sich die Menschen in der Ukraine verteidigen müssten. Dieser sei ein „Diktator, der willkürlich territoriale Souveränität missachtet“. Die Ukrainer seien deshalb zu unterstützen, „weil sie nicht nur für ihre Souveränität kämpfen, sondern auch versuchen, den Kriegstreiber Putin aufzuhalten, der den gesamten Frieden in Europa bedroht“. Zum Völkermord in Palästina schwieg Fahimi, sprach stattdessen davon, dass „den Familien der Menschen in Israel, die von der Terrororganisation Hamas heimtückisch massakriert wurden (…) unsere Solidarität und unser ganzes Mitgefühl“ gelte. Und weiter sagte sie: „Genauso trauern wir um die zivilen Opfer in Gaza, um die Menschen, die dort am Ende selbst Leidtragende des Hamas-Terrors wurden und nun ums nackte Überleben kämpfen.“

Beides lässt sich nur schwer zu einem Aufruf der DGB-Vorsitzenden gegen Aufrüstung und Krieg umdeuten. Dass dieser am 1. Mai dennoch eine große Rolle spielte, war der Initiative aus der Gewerkschaftslinken zu verdanken. Fleißig geworben und Unterschriften gesammelt wurde für den Aufruf „Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg“, der online etwas mehr als 5.000 Unterstützerinnen und Unterstützer hat. Am 1. Mai sind etliche dazu gekommen – diesmal auf Papier.

In Berlin versuchte der DGB, Solidaritätsbekundungen mit Palästina zu verhindern, indem Teilnehmer mit Palästina-Fahnen der Demonstration verwiesen wurden. Die DKP Berlin sprach sogar von einem „unnötigen Einschreiten der Berliner Polizei und der Ordnerstrukturen des DGB gegen Teilnehmer der Demonstration der Gewerkschaften, die ihre Solidarität mit dem palästinensischen Volk und ihren Protest gegen den gerade stattfindenden Völkermord in Palästina ausdrückten“. Kurz vor Ende der Demonstration sei der linke Block von der Demonstration mit der Begründung ausgeschlossen worden, Teilnehmerinnen und Teilnehmer hätten „Free, free Palestine!“ gerufen.

Der zugrunde liegende Konflikt zwischen einer Gewerkschaftsführung, die die Friedensfrage am 1. Mai gerne weitestgehend ausgeklammert hätte und Teilen der Gewerkschaftsbewegung, die es als notwendig ansehen, am Kampftag der Arbeiterklasse gegen den Kriegskurs und die dadurch verschärfte unsoziale Politik einer SPD-geführten Bundesregierung zu mobilisieren, hat sich vor Ort sehr unterschiedlich ausgedrückt. Zwar gab der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke in München den Wahlkämpfer und rief vor allem dazu auf, „einen Rechtsruck in Europa“ zu verhindern, indem man bei der EU-Wahl den „Populisten die rote Karte“ zeige. Eine Konfrontation wie in Berlin oder in Stuttgart (siehe Bericht) gab es in München jedoch nicht, obwohl auch hier deutlich sichtbar für Frieden und Abrüstung geworben wurde.

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Über den Autor

Lars Mörking (Jahrgang 1977) ist Politikwissenschaftler. Er arbeitete nach seinem Studium in Peking und war dort Mitarbeiter der Zeitschrift „China heute“.

Mörking arbeitet seit 2011 bei der UZ, zunächst als Redakteur für „Wirtschaft & Soziales“, anschließend als Verantwortlicher für „Internationale Politik“ und zuletzt – bis Anfang 2020 – als Chefredakteur.

 

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"Wahlkampfveranstaltung und Friedensfest", UZ vom 10. Mai 2024



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