Der Crash der Preise und das Ringen um eine Öl-Welt nach Corona

Machtkampf ums Öl

Es war einer der steilsten Abstürze der Börsengeschichte. Der Preis von Rohöl (Brent) hatte noch im Januar ein Hoch von 65 Dollar pro Barrel markiert. Ende März war er unter 20 Dollar pro Barrel gelandet. Im Gegensatz zu den Zockerkursen von Aktien, Futures und Derivaten geht es hier um die Realwirtschaft, um den wichtigsten global gehandelten Rohstoff, einen Markt mit dem weltweit größten Handelsvolumen. Was war passiert, dass dieser Preis innerhalb von rund zweieinhalb Monaten um 70 Prozent eingebrochen ist?

Im Absturz der Ölpreise wird die Rückkehr der Krise in den Jahren nach 2007 deutlich. Das erneute Aufflammen der Krise hatte sich schon deutlich vor Ausbruch der Coronapandemie angekündigt. Sie war zwar mit zweistelligen Billionen-Beträgen zugeschüttet worden, aber im letzten Jahr hatten sich die Gelddruckprogramme als immer wirkungsloser erwiesen. Die EU war wieder in eine Rezession gerutscht und das US-Imperium hatte seine ohnehin massiven ökonomischen Probleme noch durch einen scharfen Wirtschafts- und Technologiekrieg gegen die VR China und eine kontraproduktive Sanktionspolitik gegen Russland, Iran, Syrien, Venezuela und Kuba, aber auch gegen Länder der Europäischen Union verstärkt. Realwirtschaftlich waren auch die USA längst in der Rezession. Das reichliche internationale Rohölangebot stieß auf eine sinkende Nachfrage.

In dieser Situation scheiterte der Versuch der Hauptförderländer (OPEC+), den Ölpreis durch eine Drosselung der Produktion zu stabilisieren. Russland hatte sich geweigert, seine Förderkapazitäten zu drosseln. Im Gegensatz zu Russland, das über einige Finanz- und Goldreserven verfügt, ist Saudi-Arabien auf hohe Einnahmen aus dem Ölgeschäft angewiesen. Die enormen Kosten des riesigen parasitären Königshauses, die Finanzierung der Dschihadistenverbände und teure Kriege erfordern einen Ölpreis von deutlich über 80 Dollar pro Barrel. Das Land musste seine Förderung drastisch hochfahren, um gravierende Einnahmeverluste zu vermeiden. Die Preise fielen ins Bodenlose. Eine Lage, die vor allem dem mit Russland verbündeten, vom Ölimport abhängigen China und seiner vom Stillstand sukzessive wieder mobilisierten Industrie nützt.

Die Situation gleicht der der 1980er Jahre, allerdings mit verteilten Rollen. Im Mai 1980 hatte der Ölpreis bei 122 Dollar pro Barrel gelegen, bis zum März 1986 war er bis auf 25 Dollar pro Barrel abgesackt. Das US-Imperium hatte gemerkt, dass sich die in ökonomischen Schwierigkeiten befindliche Sowjetunion im Wesentlichen aus ihren Einnahmen aus dem Verkauf fossiler Energie finanzierte. Die USA und der treue US-Vasall Saudi-Arabien hatten daraufhin die Produktion massiv erhöht und somit den hohen Preis aus den OPEC-Preissteigerungen der 1970er Jahre drastisch nach unten geschleust. Der Sowjetunion brachen daraufhin entscheidende Einnahmen weg, was nicht unwesentlich zur Krise der 1980er Jahre und dem Zusammenbruch 1991 beitrug.

Die Investitionen für die heutige Frackingtechnologie sind vergleichsweise hoch. Die US-Unternehmen haben sich aufgrund der Nullzins-Politik hoch verschuldet. Die Fracker brauchen einen Preis jenseits der 60 Dollar, um in die Nähe der Profitzone zu kommen. Die Fracking-Produktion ist ohnehin nur unter energiestrategischen Aspekten und unter der Bedingung eines staatlichen Protektionismus und einer Nullzinsfinanzierung „sinnvoll“. Der Fracking-Boom verdoppelte 2018 die US-Ölproduktion von 5,7 Millionen Barrel pro Tag in 2011 auf 11,5 Millionen Barrel pro Tag. Allerdings bei einem Preis, der lange Zeit über 90 Dollar pro Barrel lag. Bei einem Preis nahe der 20-Dollar-Marke wird es nicht lange dauern, bis ein großer Teil der hochverschuldeten Fracker Konkurs anmelden muss und die hinter ihnen stehenden Banken und Hedge-Fonds die Reißleine ziehen werden.

„Kaufe, wenn das Blut auf den Straßen fließt“, wusste schon Nathan Rothschild. Jetzt in der Krise 2007/2020 gerät vieles, das vorher für nicht denkbar gehalten wurde, in Bewegung. Regierungen und Zentralbanken mobilisieren Billionenbeträge, um sie der herrschenden Finanzoligarchie zuzuschanzen. Die Arbeiterklasse verliert ihre Arbeitsplätze, verarmt. Der Mittelstand, der Einzelhandel, die kleinen Gewerbetreibenden, auch sie hochverschuldet, werden bewusst in den Bankrott getrieben. Ein gewaltiger Umwälzungs-, Akkumulations- und Konzentrationsprozess findet statt. Auf nationaler, aber auch auf internationaler Ebene.

In der Ölindustrie geht es vor allem um Marktanteile. Wladimir Putin spielt gerade über die saudische Bande gegen die US-Fracking-Industrie. Die sanktionsgehärtete Wirtschaft Russlands hat trotz der „westlichen“ Blockaden ein akzeptables Wachstum geschafft. Sie kann auch in der Krise niedrige Ölpreise länger verkraften als die Konkurrenz. Donald Trump hat sich mit seiner Blockade von „Nord Stream 2“ und ähnlichen antirussischen Manövern nicht gerade beliebt gemacht. Sowohl die Russen als auch die Saudis würden sich die aggressive Konkurrenz der US-Fracker gern vom Hals schaffen. Die Saudis hatten sogar noch einen Rabatt auf ihren Ölpreis eingeräumt.

Den notleidenden Frackern stehen die US-Notenbank und der Senat sicher zur Seite. Und so hat denn auch Putin „Goodwill“ signalisiert, eine Lieferung von Anti-Corona-Ausrüstung in die USA angekündigt und ist bereit, die Ölfördermengen zu begrenzen, sollten US-Fracker mitziehen. Der Ölpreis hat sich daraufhin etwas erholt. Doch die Fracking-Industrie in den USA scheint auf die Macht der Notenbank zu setzen und ist bisher zu keinen Zugeständnissen bereit.

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"Machtkampf ums Öl", UZ vom 10. April 2020



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