Meine Corona-Woche (7)

Mein Wort drauf

Die letzten Tage kam etwas vom Himmel runter. So etwas Durchsichtiges, Nasses. Die Eltern beruhigen mich: Früher gab es das viel öfter und es hat keinem geschadet. Und jetzt erinnerte auch ich mich wieder an Fußballspielen im Frühling Ende der 90er Jahre – kalt, nass, schlammig… herrlich! Das muss tatsächlich Regen sein! Den Blumenbeeten im Garten hat er allerdings nicht geholfen. Regen auf einem betonähnlichen Untergrund hat so ziemlich keine ernsthafte Wirkung. Mein Wort drauf.

Mein erster Einkauf mit Mundschutz war äußerst unangenehm. Als Raucher hat man so leichte Erstickungspanik. Hyperventilieren bringt einen auch nicht wirklich weiter. Und dass die Brille beschlägt – ebenfalls unschön. Das Ergebnis präsentierte sich mir dann zu Hause: Unter anderem zwei Flaschen halbtrockener Weißwein. Ich hasse halbtrockenen Weißwein. Wein muss trocken sein und sonst nichts. Blödes Brillebeschlagen, da kann man die Etiketten so schlecht lesen! Und die Menschen um einen rum, an der Kasse oder der Käsetheke wirken so ganz ohne Mund und Nase auch nicht freundlicher. Oder, wie es eine Psychologin leicht unglücklich formulierte: „Fällt das halbe Gesicht weg, reagieren wir mit Unbehagen.“ Uff. Mein Wort drauf.

Die wöchentliche Telefonkonferenz mit der gesamten Redaktion ergibt zwei Erkenntnisse. 1. Kopfweh. Und 2.: Sage niemals „Ich schlage vor …”. Der Bumerang kommt direkt und schmerzvoll zurück mit: „Prima Idee, dann mach das mal!“ Autsch. Beim nächsten Mal schalte ich direkt den Lautsprecher aus. Bekomme ich zwar nix mit, aber auch nix ab. Ich gebe zu, eine Milchmädchenrechnung (Kommt wohl hier her, das schöne Wort: „La Laitière et le Pot au Lait“ von Jean de La Fontaine). Was mir dabei einfällt: Wisst ihr, woher der Begriff „Weg vom Fenster“ (also Ruhrpott für „gestorben“) kommt? Die Malocher (vor allem die, die unter Tage im Bergbau gearbeitet haben), haben abends immer am Fenster gehockt und da versucht, etwas frische Luft zu bekommen und ein Schwätzchen zu halten. Wenn sie dann eines Tages nach Feierabend nicht mehr am Fenster waren, waren sie…? Weg vom Fenster. Eben.

Mittwoch. Ich hatte die Rotkehlchen gegossen und die Tomaten gefüttert, oder umgekehrt, man kommt ja ganz durcheinander in diesen Zeiten. Sonntag zum Beispiel war Montag und Montag dann Dienstag, wegen des früheren Drucktermins der UZ. Und Donnerstag ist dann wahrscheinlich Sonntag. Oder Samstag. Oder Muttertag. Man weiß es nicht. Jedenfalls kam Gartenbro A. mit neuen Pflanzensamen vorbei und ich staunte: Die Möhrentüten hatten die Unterzeile „Lange rote stumpfe ohne Herz 2“, was ich schon überhaupt nicht verstand. „Ohne Hartz-4“ hätte möglicherweise Sinn ergeben. Noch wilder: Unter den Einlegegurken stand „Vorgebirgstrauben“. Ja wie jetzt? Gurken sind eigentlich Trauben und wir müssen jetzt einen Berg im Garten anlegen? Versteht das jemand? Ein Elend, das. Mein Wort drauf.

Ansonsten verschiebe ich gerade Dinge, in die Zukunft oder gleich ins Nirwana. Schon lange habe ich den Plan für ein T-Shirt mit dem Slogan „Lebe so, dass Jens Spahn es hassen würde.“ Ergibt in diesen Zeiten nicht weniger Sinn. Trotzdem: Verschoben. Aber Dinge verschieben scheint mir ein interessantes Hobby zu sein: Fußball gucken, Billard spielen, Fenster putzen. Verschoben. Liegestütze sowieso. Auch mein Vermögen würde ich gerne verschieben, in die Schweiz zum Beispiel. Ich habe nur keines. Was ich echt nicht mehr lange verschieben kann: Eine Umarmung! Weiblich, männlich, genderneutral, mir egal. Wenn also da draußen ein kleiner Herr mittleren Alters mit selbst verschnittenen Haaren und ausgebreiteten Armen auf euch zukommt: Das bin ich. Mein Wort drauf.

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"Mein Wort drauf", UZ vom 8. Mai 2020



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