Petition gegen Entlassungen bei VW: Für einen Dialog zwischen IG Metall und Klimabewegung

Möglich: Verkehrswende

Der VW-Konzern steckt in der Krise. Produktionsstandorte sind nicht ausgelastet, ein massiver Personalabbau droht, das Management will die Rendite deutlich steigern. Gleichzeitig steht der Automobilkonzern in der Kritik der Klima­bewegung. Anders als ver.di, die die Tarifrunde Öffentlicher Dienst nutzte, um mit Klimaaktivisten gemeinsame Aktionen für die Verkehrswende durchzuführen, gibt es bei der IG Metall in Wolfsburg derzeit keine Bereitschaft zu einem Dialog, geschweige denn zu gemeinsamen Aktionen. Alfred Hartung, IG-Metaller und ehemals bei VW beschäftigt, will das ändern.

UZ: Du hast die Petition „Stellenabbau bei VW stoppen!“ gestartet. Warum?

Alfred Hartung: Weil die Situation in der Automobilindustrie – vor allem in der deutschen Automobilindustrie – nicht besonders rosig ist. Die Produzenten von hochpreisigen Fahrzeugen wie Daimler, BMW und Audi verdienen zwar massig Geld, aber Produzenten wie VW, die kleinere, günstiger Modelle produzieren, kommen in Bredouille. Das liegt zum einen daran, dass die Massenkaufkraft sinkt und eben auch daran, dass das Auto als Massenverkehrsmittel in die Kritik geraten ist.

Das Management von VW unter der neuen Leitung von Oliver Blume und Thomas Schäfer haben darauf keine Antwort. Sie überlegen stattdessen, wie die Profite gesteigert werden können. Schäfer hat dafür ein neues „Performance Programm“ vorgestellt. Die Details sind zwar noch nicht bekannt, aber eindeutig ist, dass die Profite drastisch erhöht werden sollen. Die „operative Marge“, wie Schäfer sagte, soll auf 6,5 Prozent steigen – das wäre eine Verdoppelung. Und ein wesentliches Mittel, um dies zu erreichen, soll der Personalabbau sein. Es gibt durchaus ernst zu nehmende Hinweise darauf, dass die Belegschaft um 10 bis 15 Prozent geschrumpft werden soll. Details zum „Performance Programm“ werden wohl erst im Laufe des Monats bekannt werden. Aber es ist damit zu rechnen, dass es massiven Personalabbau geben wird. Dazu passen die Meldungen, dass im Werk in Zwickau, wo E-Autos produziert werden, aktuell 269 Leute gehen sollen.

UZ: Ist ein solcher massiver Personalabbau bei VW überhaupt durchsetzbar?

Alfred Hartung: Bei VW ist die Mitbestimmung sehr stark. Ich gehe davon aus, dass der Betriebsrat und die IG Metall durchsetzen werden, dass es nicht zu Entlassungen kommt. Das ist aber in Anführungszeichen zu setzen und trifft nur eingeschränkt zu. Denn wie das Beispiel Zwickau zeigt, trifft es als erstes die befristet beschäftigten Leiharbeiter. Von der Stammbelegschaft wird – in absehbarer Zeit – wohl niemand entlassen werden, weil bis 2029 eine Beschäftigungssicherung gilt. Aber eine große Zahl von Kolleginnen und Kollegen wird altersbedingt ausscheiden. Das sind viele, denn es sind jetzt die sogenannten „Babyboomer“, die in Rente gehen. Diese Stellen werden nicht wieder besetzt. Und das führt natürlich zu Mehrarbeit für die verbleibende Belegschaft, das heißt Arbeitsverdichtung.

Und zum anderen ist natürlich die Frage, wo die jungen Leute in der Region Beschäftigung finden sollen, wenn VW massiv Personal abbaut? In der Region Südostniedersachsen ist VW der zentrale Arbeitgeber mit vergleichsweise guten Löhnen. Wenn das wegfällt, hat das auch große Auswirkungen auf die ökonomische Situation in der ganzen Region, angefangen vom Handwerk bis zum Konsum und so weiter.

UZ: Du willst mit deiner Petition nicht nur den Personalabbau stoppen, sondern auch Klimabewegung und IG Metall zusammenbringen. Wie soll das gehen? Wie du bereits gesagt hast, setzen Autokonzerne weiter auf Individualverkehr und auf die Produktion von SUVs, weil diese am meisten Profit versprechen. Und auf der anderen Seite ist die Erfahrung der Beschäftigten doch, dass Klimapolitik in ihrer Umsetzung meist nur als Preissteigerung daherkommt.

Alfred Hartung: Genau das ist eben eins der Motive, für die ich mich seit langem engagiere. Zu versuchen, das auszugleichen. Zu versuchen, beiden Seiten klar zu machen, dass sie nur Erfolg haben werden, wenn sie gemeinsam vorgehen.

Und das ist auch gar nicht unmöglich. Mit meiner Petition will ich exemplarisch am VW-Konzern zeigen, wie das gehen könnte. Die Möglichkeit dafür ist im VW-Konzern besonders gut, aufgrund der erweiterten Mitbestimmung. Im Aufsichtsrat von VW sitzt neben den Kapital- und den Gewerkschaftsvertretern das Land Niedersachsen. Eine Mehrheit von Gewerkschafts- und Landesvertretern gegen das Kapital wäre also theoretisch möglich.

UZ: Und wofür sollte diese Mehrheit deiner Meinung nach konkret genutzt werden?

Alfred Hartung: Mein Vorschlag ist, eine neue Tochterfirma zu gründen, statt Massenentlassungen vorzunehmen. Diese soll sich schwerpunktmäßig mit dem Bau von klimaneutralen – soweit es das überhaupt gibt – Verkehrsmitteln wie Bussen, Zügen, Fahrrädern und so weiter beschäftigen. Der Aufsichtsrat ist laut VW-Gesetz für die Gründung und Schließung neuer Standorte oder Produktionsstätten zuständig, könnte eine solche Tochterfirma also aus der Taufe heben.

UZ: Also dein Vorschlag ist, nicht den Verbrenner-Golf gegen den Elektro-SUV zu stellen, sondern du sagst, dass die Perspektive eines Konzerns wie VW jenseits der Automobilproduktion liegt.

Alfred Hartung: Genau. Ich und andere Kolleginnen und Kollegen hier in Wolfsburg haben seit einigen Monaten eine ziemlich rührige Verkehrswende-Gruppe. Zu glauben, man könne den Verbrenner eins zu eins gegen Elektrofahrzeuge austauschen und dann sind alle Probleme gelöst, das ist ein völliger Irrweg. Wir brauchen zum einen eine Zurückdrängung des Individualverkehrs. Und wir brauchen eben eine ständige und deutliche Steigerung des öffentlichen Verkehrs.

Wir kommen nicht drumherum, uns in der IG Metall stärker mit dem Gedanken zu befassen, dass die Situation – gerade in der Automobilindustrie – so nicht bleiben kann. Wir können die Augen nicht davor verschließen, dass es nicht immer so weiter geht. Schauen wir nach Detroit, „Motor City“, wo mit dem Niedergang der Automobilindustrie die ganze Region in einen Abwärtsstrudel geraten ist.

Wir müssen Beschäftigung sichern – durch Arbeitszeitverkürzung, aber auch durch den Aufbau alternativer Produktion. Da bieten sich Busse und Straßenbahnen an. An dieser Stelle möchte ich an die in der Satzung formulierten Aufgaben und Zielen der IG Metall hinweisen. Da ist immer noch von der „Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum“ die Rede. Das spielt in der IG Metall derzeit keine Rolle, muss aber in die Diskussion eingebracht werden, auch in der Klimabewegung.

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Über den Autor

Lars Mörking (Jahrgang 1977) ist Politikwissenschaftler. Er arbeitete nach seinem Studium in Peking und war dort Mitarbeiter der Zeitschrift „China heute“.

Mörking arbeitet seit 2011 bei der UZ, zunächst als Redakteur für „Wirtschaft & Soziales“, anschließend als Verantwortlicher für „Internationale Politik“ und zuletzt – bis Anfang 2020 – als Chefredakteur.

 

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"Möglich: Verkehrswende", UZ vom 22. September 2023



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