Zentralbanker suchen Alternative zum Dollar

Nachfrage nach Gold

Kolumne

Vor 25 Jahren stimmte der Deutsche Bundestag der Einführung des Euro mit großer Mehrheit zu. Helmut Kohl, der im April 1998 noch Kanzler war, stellte heraus, dass mit dem Euro „ein einheitlicher Markt mit gemeinsamer Währung von 300 Millionen Menschen“ geschaffen werde, dessen Wirtschaftsleistung der der USA ebenbürtig sei. „Nur mit einer gemeinsamen Währung können wir auf den globalen Finanzmärkten bestehen.“ Tatsächlich aber hat der Euro nie die überragende Rolle des Dollars als Weltwährung gefährden können. Das sollte er auch nicht, sondern die dem Dollar fast gleiche Zweit- oder Ersatzweltwährung sein, bleiben und mit ihm untergehen.

Besonders deutlich wurde dies am 27. Februar 2022, als die EU-Regierungschefs und die US-Regierung beschlossen, die Guthaben der russischen Zentralbank einzufrieren, den russischen Staat also zu enteignen. Die Zentralbank Russlands verfügte damals über Devisenreserven von über 630 Milliarden Dollar/Euro, wovon die bei den Zentralbanken des feindlichen Westens verbuchten Guthaben etwas mehr als 300 Milliarden Dollar ausmachten. Die in dieser Größenordnung beispiellose Enteignung wurde sogleich in der (westlichen) Presse, von Bankern, Zentralbankern und anderen Finanzleuten sorgenvoll kommentiert. Die Vizedirektorin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Gita Gopinah, wies darauf hin, dass sich bereits einige Länder nach Alternativen umsähen, in welcher Währung sie ihre Geldreserven halten wollten. Sie sollte recht behalten: 2022 haben die Zentralbanken der Welt die Rekordmenge von 1.136 Tonnen Gold zugekauft. Das ist ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr um 152 Prozent.

Währungsreserven dienen, wie das Wort andeutet, dem Zweck, im Notfall zahlungsfähig zu sein. Gold ist das klassische Medium für Zentralbankreserven. Allerdings ist es nicht unbedingt preisstabil und bei weitem nicht so liquide handelbar wie etwa Dollar und Euro. Heute werden von den weltweit bei Zentralbanken gehaltenen Währungsreserven nur 10 Prozent als physisches Gold gehalten. Schon in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich der Anteil des Dollars an den Zentralbank­reserven von 71 Prozent auf die heutigen 59 Prozent reduziert und ist im letzten Quartal des Vorjahres auf etwa 58 Prozent gesunken. Der Euro wäre mit fast unverändert gut 20 Prozent an den Währungsreserven und seiner vielfachen Nutzung im Warenhandel einerseits eine Alternative zum Dollar. Andererseits haben sich die EU-Länder am Raubzug der russischen Reserven beteiligt. Wer Geldreserven in Euro hält, muss also mit allen von den USA inspirierten Willkürakten rechnen. Der Renminbi macht derzeit an den Notenbankreserven noch nicht einmal 3 Prozent aus. Er gilt angesichts der Größe der chinesischen Wirtschaft und ihrer mittlerweile führenden Rolle im internationalen Warenhandel als der fällige Nachfolger des Dollars als Weltwährung. Das wird allerdings noch ein Weilchen dauern. Deshalb füllen die Zentralbanker der Welt ihre Reserven mangels Alternative mit dem „barbarischen Relikt“ Gold auf.

Die Zentralbanken der Welt nehmen im heutigen Weltfinanzsystem eine wichtige Scharnierfunktion zwischen den Finanzmärkten, besser, dem Finanzkapital und den Staaten, ein. Sie geben schließlich das für das Gesamtsystem essentielle Geld heraus. Welches fremde Geld sie als Reserve halten, ist die meiste Zeit belanglos, in Krisenzeiten aber plötzlich wichtig. Frau Gopinahs Sorge, dass sich mehr und mehr dieser Zentralbanken angesichts der Enteignungserfahrung ihrer russischen Kollegin vom Dollar ab- und anderen Währungen zuwenden könnten, ist durchaus berechtigt. Es hätte zur Folge, dass die führende Rolle als Weltzahlungsmittel erodieren und die damit verbundenen Vorteile für die US-Finanzwirtschaft dazu.

Allerdings wird diese Entwicklung zunächst langsam ablaufen.

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Über den Autor

Lucas Zeise (Jahrgang 1944) ist Finanzjournalist und ehemaliger Chefredakteur der UZ. Er arbeitete unter anderem für das japanische Wirtschaftsministerium, die Frankfurter „Börsen-Zeitung“ und die „Financial Times Deutschland“. Da er nicht offen als Kommunist auftreten konnte, schrieb er für die UZ und die Marxistischen Blättern lange unter den Pseudonymen Margit Antesberger und Manfred Szameitat.

2008 veröffentlichte er mit „Ende der Party“ eine kompakte Beschreibung der fortwährenden Krise. Sein aktuelles Buch „Finanzkapital“ ist in der Reihe Basiswissen 2019 bei PapyRossa erschienen.

Zeise veröffentlicht in der UZ monatlich eine Kolumne mit dem Schwerpunkt Wirtschaftspolitik.

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"Nachfrage nach Gold", UZ vom 28. April 2023



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