Netanjahu, Pirinçci und die Political Correctness

Von Guntram Hasselkamp

Es gibt sympathischere Zeitgenossen als Akif Pirinçci und Benjamin Netanjahu. Und durchaus zu Recht haben der rechtsradikale Autor und der zionistische Ministerpräsident momentan eine schlechte Presse. In seltenen Momenten trifft die Wucht der konzertierten Meinungsindustrie auch einmal die Richtigen.

Die personellen und gewalttätigen Kontinuitätslinien des aktuellen Faschismus reichen bis weit in das „Tausendjährige Reich“. Die ideologischen noch bis weit davor. Dem rechten Terror in der Bundesrepublik sind weit über 100 Menschen zum Opfer gefallen. Und wie die Umstände des NPD-Verbotsantrags und der NSU-Morde zeigen, sind die alten Traditionen auch im BRD-Machtapparat noch intakt. Schon Hitlers „Kronjurist“, Carl Schmitt, hielt die Unterscheidung von Freund und Feind für konstitutiv. In Deutschland hatte die Linke stets das Fadenkreuz auf der Stirn.

Konstitutiv ist das Freund-Feind-Schema ebenso für den Zionismus. Schon bei Theodor Herzl wollte der „Judenstaat“, „ein Stück des Walles gegen Asien bilden, wir würden den Vorpostendienst der Cultur gegen die Barbarei besorgen“. Der Zionismus ist eine rassistische Ideologie mit einem expansionistischen Landraubprogramm. Der Eroberung Eretz Israels. Dieser bis heute andauernde Feldzug hat seit der Nakba 1948 unzähligen Menschen das Leben gekostet und er wird unter der Deckung der USA weitere unzählige Menschenleben kosten. Auf „Vorpostendienst der Cultur gegen die Barbarei“ sieht sich heute Benjamin Netanjahu.

Anscheinend ist jeder Provinz-Bahnhof besser überwacht

und gesichert als die zum Anschlagsziel Nummer Eins

avancierten Flüchtlingsunterkünfte.

Für die Entrüstung über Akif Pirinçci und Bejamin Netanjahu, beide Vertreter eines aggressiv-militanten Rassismus, gibt es also gute Gründe. Nur – um die geht es den Qualitätsmedien kaum. Worum es geht, sind ihre Äußerungen mit Bezug auf den Faschismus. Und das ist in der Bundesrepublik vermintes Terrain.

Die Sprachregelungen zum Faschismus, eine davon ist die exklusive Verwendung seines alten Tarnnamens Nationalsozialismus, wird von den medialen Wächtern der Political Correctness, kurz PC, kontrolliert. Beispielsweise gilt: NS-Zitate sind unzulässig, es sei denn sie dienen der Diskriminierung eines Gegners, eben des aktuellen Hitler. Die medial kontrollierte Sprachregulierung schließt also in eine Art vormoderner Dogmatik a priori bestimmte Aussagen und Akteure aus dem öffentlichen Diskurs aus und ermöglicht eine einfache, aber stigmatisierende Feindbildproduktion. Was das augenzwinkernd-kalkulierte Spiel über die Bande natürlich nicht ausschließt.

So werden die PC-Regeln auch den Herren Netajahu und Pirinçci nicht unbekannt geblieben sein. Aber mit nichts kann man mehr Furore machen, als mit einem unpassenden Nazi-Zitat. Und ist der Ruf erst ruiniert … Spätestens seit Nietzsche ist die Koketterie mit der Rebellenpose in der Hardcore-Rechten en vogue. Auch der „Führer“ inszenierte sich als Revolutionär, der „die 30 Parteien aus Deutschland hinausfegen“ wollte. (Um auch mal ein Nazi-Zitat zu bringen.)

Für Herrn Netanjahu sind die Palästinenser an allem Schuld. Also auch am Holocaust. Ohne die Einflüsterungen des Mufti Mohammed al-Husseinis wäre Hitler gar nicht auf die Idee zum Mord an den Juden gekommen (richtiger an jenen, welche die Faschisten als Juden definierten). Das ist natürlich absurd und eine gezielte Provokation. Aber die Machtverhältnisse im Nahen Osten sind in Bewegung geraten. Auch Zionisten sind nicht mehr sakrosankt. Das sorgt für Unsicherheit. Dass allerdings Herr Netanjahu jetzt in die Kritik gerät, nicht weil er einen erbarmungslosen Krieg gegen die verbliebenen palästinensischen Großghettos führt, sondern weil er historischen Unfug erzählt, ist zwar absurd, aber aufgrund der widersprüchlich-komplexen deutschen Interessenlage auch irgendwie logisch.

Auch der manipulative Umgang mit der Pirinçci-Rede zeigt das Potential von PC. Pirinçci hatte tatsächlich weder bedauert, dass es die KZ nicht mehr gäbe, wie beispielsweise die Tagesthemen und der Justizminister umgehend unterstellten, noch sie als Lösung des Flüchtlingsproblems vorgeschlagen, wie nicht nur Bild insinuierte, sondern den rücksichtslosen Umgang der „Politiker“ mit dem eigenen Volk beklagt. Die anschließende Provokation, die KZ seien ja leider nicht mehr in Betrieb, meinte ein ironisch unterstelltes Bedauern der „Politiker“, das eigene Volk, das „nicht pariert“, nicht dorthin schicken zu können. Das ist zwar ebenso absurd, in der Sache aber etwas völlig anderes.

Auch bei der Kritik an Pirinçci geht es nicht um den immer aktiveren und offensichtlich ungestörten faschistischen Terror. Anscheinend ist jeder Provinz-Bahnhof besser überwacht und gesichert als die zum Anschlagsziel Nummer Eins avancierten Flüchtlingsunterkünfte. Andererseits sind viele Menschen völlig zu Recht unzufrieden mit den Konsequenzen der Agendapolitik, der neoliberalen Zurichtung der Eurozone, dem Handling der durch „westliche“ Kriegführung heraufbeschworenen „Flüchtlingskrise“. Die Unzufriedenheit mit dem Kurs der Bundesregierung wächst selbst in den eigenen Reihen rapide. Aufgrund der Kumpanei der Sozialdemokratie wird sie vor allem von Rechts vorgetragen. So wie die Political Correctness linke Kritik als Stalinismus brandmarkt, so kontaminiert sie, falls erforderlich, die rechte mit dem Faschismus. Die deutsch dominierte Europapolitik steuert auf eine existentielle Krise zu. Da ist es elementar, die massive Kritik von Rechts medienwirksam als rechtsex­tremistisch disqualifizieren zu können, natürlich ohne tatsächlich gegen den realen braunen Mob vorgehen zu wollen. Die PC-gestützte Abwehrfront gegen Pegida & Co. sollte nicht mit „staatlich verordnetem Antifaschismus“ verwechselt werden. Es geht um die propagandistische Absicherung der deutsch/europäischen Globalstrategie. Dafür streichelt die Kanzlerin auch einmal Flüchtlingskinder.

PC ist natürlich nicht auf Faschismus und Stalinismus beschränkt. Wer beispielsweise der offiziellen Verschwörungstheorie zu „9/11“ misstraut und glaubt, dass es auch anders gewesen sein könnte, ist selbstredend ein übler Verschwörungstheo­retiker und damit ein nicht ernst zu nehmender Spinner. Natürlich weiß jeder, dass Verschwörungen schon allein deshalb zum Alltagsgeschäft imperialer Staaten gehören, weil deren antihumane, bellizistische und asoziale Vorhaben mit ehrlich-offenen Begründungen nie durchsetzbar wären. Daher gehört zum Erfolg von Verschwörungen das hartnäckige Dementi. Und da ist die PC-konforme Sprachregelung „Verschwörungstheorie“ eine wirksame Waffe, die jeden Kritiker schon im Vorfeld delegitimiert.

Die Linke sollte sich nicht zu früh freuen, weil das imperiale Interesse mit Pegida ausnahmsweise mal die Richtigen im Visier hat. Die Linke wäre, der Totalitarismustheorie sei Dank, wenn ihre Kritik stärker würde, da keineswegs aus dem Schneider.

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"Netanjahu, Pirinçci und die Political Correctness", UZ vom 30. Oktober 2015



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